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Die Passivseite – offene Flanke des Unternehmers?

Unternehmer denken in hohem Maße personenbezogen. Dies betrifft Mitarbeiter, Familie und persönliche Berater, aber auch die ihn privat und geschäftlich begleitenden Banken. Das schafft Vertrauen, Kontinuität und Offenheit – verstellt jedoch den Blick für neue Spielregeln und neue Player mit bisher unbekannten Zielen. Auf Angriffe von der Passivseite wird deshalb häufig zu spät, zu emotional und in der Sache falsch reagiert.

Von Dr. Volkhard Emmrich, geschäftsführender Gesellschafter, Dr. Wieselhuber & Partner GmbH

Unternehmer denken in hohem Maße personenbezogen. Dies betrifft Mitarbeiter, Familie und persönliche Berater, aber auch die ihn privat und geschäftlich begleitenden Banken. Das schafft Vertrauen, Kontinuität und Offenheit – verstellt jedoch den Blick für neue Spielregeln und neue Player mit bisher unbekannten Zielen. Auf Angriffe von der Passivseite wird deshalb häufig zu spät, zu emotional und in der Sache falsch reagiert.

Die Inhaberziele stehen im Fokus

Die Ziele des Inhabers sind nicht mehr “Privatsache”. Sie werden zunehmend von den anderen Kapitalgebern analysiert, bewertet und in Frage gestellt. Neben der Frage des Performanceanspruchs bzw. der Profitabilität sowie des Ressourceneinsatzes sind heute insbesondere folgende drei Bereiche Nährboden für Konflikte zwischen den Stakeholdern der Passivseite:

– Freiheitsgrade und Professionalität des Managements
– Nachhaltigkeit der strategischen Ausrichtung (Geschäftsmodell)
– Ausmaß der kurzfristigen Cashflow-Orientierung

Herrscht in den genannten Punkten grundsätzliche Einigkeit zwischen allen Kapitalgebern, stellt sich für die Fremdkapitalseite zusätzlich die Frage nach der Beständigkeit der Ziele bei einem planmäßigen bzw. unplanmäßigen Ausscheiden des Inhabers. Verfolgen die Beteiligten divergierende Ziele oder herrscht Unzufriedenheit über die vermeintlich verfolgten Ziele, kann selbst eine hohe Eigenkapitalquote den Konflikt nur verdecken, nicht jedoch verhindern. Dies ist in der Regel besonders gefährlich, denn die fremdkapitalseitigen Stakeholder diskutieren intern dann meist heftig über die aus ihrer Sicht unzureichenden Inhaberziele. Das Gleichgewicht ist labil, selbst kleinste Störungen können zu offenen Konflikten auf der Passivseite führen.

Der Verkauf von Krediten

In den letzten Jahren ist hier der Gestaltungsspielraum der Banken deutlich gestiegen, sie können sich meist problemlos von Krediten trennen. Diese Möglichkeit nutzen neben Großbanken zunehmend regionale Institute wie Sparkassen und Volksbanken. Beim Verkauf ganzer Kreditportfolios – bisher meist im Bereich pfandrechtlich gesicherter Darlehen – erfährt der betroffene Unternehmer meist nur durch ein lapidares Schreiben des Kreditgebers, dass sich seine Bank aus internen Gründen bedauerlicherweise dazu entschlossen hat, einen bestimmten Typ von Geschäften nicht mehr zu betreiben und deshalb die Kredite verkauft hat. Man bedauert, dass damit die Geschäftsbeziehung beendet ist. Werden Einzelkredite verkauft, weicht das Prozedere nur geringfügig ab. In beiden Fällen sitzt dem Unternehmer ein neuer, ihm unbekannter Gläubiger gegenüber, der im Zweifel wenig Interesse an einer langfristigen Geschäftsbeziehung hat. Der Weiterverkauf von Teilportfolios sowie Zweit- und Drittgeschäfte machen das Bild noch unübersichtlicher und sorgen dafür, dass in manchen Fällen monatelang dem Inhaber nicht einmal ein Ansprechpartner für Rückfragen zur Verfügung steht. Ob es sich dabei letztendlich um einem echten Verkauf (True Sale) oder einen verdeckten Verkauf gehandelt hat, bei dem die Bank für den Erwerber weiterhin die Bearbeitung (Servicing) durchführt, ist vom Ergebnis her letztlich belanglos.

Und die Ziele der neuen Gläubiger?

In aller Regel steht nicht das Kreditgeschäft im Vordergrund. Die Portfolios wurden cash gekauft und fremd finanziert. Schneller Liquiditätsrückfluss ist entscheidend, die Kredite werden selbst mit Abschlägen eingetrieben. Kann der Unternehmer den Störenfried nicht aus Eigenmitteln ablösen, ist meist eine Rekonfiguration der Passivseite angesagt, d. h. Suche nach einem Finanzierungspartner, offene Diskussion der eingangs genannten Gesellschafterziele und gemeinsame Entwicklung von Konzepten zur Optimierung der Bilanz- und Kapitalstrukturen, was auch veränderte Quoten von Fremd- und Eigenkapital, den Einsatz eigenkapitalnaher Finanzierungsformen (etwa Mezzanine, stille Beteiligungen oder verbrieftes Genussscheinkapital) sowie eine Umschichtung in der Fristigkeit mit sich bringen kann. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Vorstellungen hinsichtlich der Unternehmens- bzw. Gesellschafterziele nicht allzu weit auseinander liegen und ein echtes Committment hergestellt werden kann.

Alte Marken leben gefährlich

Eine fundamentalere, jedoch häufig gar nicht beachtete Gefahr besteht für traditionelle und bekannte Markenunternehmen. Die Analysten von Finanzinvestoren und Investmentbanken screenen die Märkte weltweit nach Targets. In Europa, insbesondere in Deutschland, werden sie vor allem bei Inhaber geführten Markenunternehmen fündig. Bescheidene Gesellschafter, ausreichende, aber nicht ausgereizte Performance, lange Bilanzen und stille Reserven sowie regionale und inhaltliche Extensionspotenziale der Marke machen das Unternehmen aus Analystensicht hoch attraktiv. Es werden Kriterien definiert, die auf Störungen im Geschäftsbetrieb des beobachteten Unternehmens hinweisen, sowie ein Aktionsplan erarbeitet, wie man über die Passivseite in das Unternehmen einsteigen kann. Treten jetzt Verluste auf, sind sie das endgültige Kaufsignal für den Investmentbanker; “Plan B läuft”. Letztendlich wird versucht, die Eigenkapitalposition einzunehmen und die Altgesellschafter abzulösen. Dies erfolgt in der Regel alles nicht zu Buchwerten, 30% Abschläge über alles sind eine gängige Größenordnung. Gelingt der Angriff nicht sofort, wird auf ein breites Arsenal von Instrumenten zurückgegriffen, um trotzdem ans Ziel zu kommen.

Was ist das Fatale an der Situation?

Zerstrittene Gesellschafter erleichtern den Einstieg, besonders leicht machen es Gesellschafter den Finanzinvestoren, wenn sie sich nach außen uneins zeigen, Entscheidungen nicht umsetzen bzw. nur verbal mittragen, jedoch für sich selbst dazu neigen, die Dinge auszusitzen. Führt dies dazu, dass selbst die Hausbanken, etwa in einer Phase der Strukturanpassung, das Vertrauen verlieren, sind einer Eroberung des Unternehmens durch die Passivseite Tür und Tor geöffnet.

Die Anforderungen an die Gesellschafter sind gestiegen

Nicht nur die Anforderungen an das Unternehmen selbst, auch die Anforderungen an die gesellschafterseitige Unternehmensführung sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Klare Strategien und Wertvorstellungen, eindeutige und einfache Entscheidungsregeln, kompetente und entscheidungsfähige Gremien, klare Mehrheiten ohne Vetorechte von Minderheitsgesellschaftern und das eindeutige Primat der Unternehmensinteressen vor Gesellschaftereinzelinteressen sind eine Auswahl der Dinge, die notwendig sind, will der Gesellschafter die Passivseite im Griff behalten. Professionelle Unternehmensführung durch die Gesellschafter umfasst auch das kritische Hinterfragen der eingangs genannten eigenen Gesellschafterziele sowie die Beurteilung der faktisch verfolgten Ziele mit den Augen Dritter und darauf aufbauend die offene Diskussion, um Sprachlosigkeit und Scheincommittments abzubauen. Auf dieser Basis können auch mögliche strukturelle Veränderungen auf der Passivseite frühzeitig eingeleitet und damit mögliche Angriffe Dritter verhindert bzw. die Angriffsflächen beseitigt werden. Die Passivseite ist also für den Gesellschafter zum neuen strategischen Gestaltungsfeld geworden, das mit Weitsicht und in Kenntnis der neuen Instrumente und Spielregeln grundsätzliche Beachtung finden muss.


Zur Person: Dr. Volkhard Emmrich
Dr. Volkhard Emmrich (emmrich@wieselhuber.de) ist geschäftsführender Gesellschafter der Dr. Wieselhuber & Partner GmbH. Die Unternehmensberatung ist eine unabhängige, branchenübergreifende Top-Management-Beratung für Familienunternehmen mit Büros in München und Düsseldorf. Sie bietet Know-how u. a. in den Bereichen Strategie und Organisation sowie Krisenmanagement und Restrukturierung. (www.wieselhuber.de)

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