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“Die Herausforderung besteht in der operativen Umsetzung”

In wirtschaftlichen Boom-Phasen gibt es weniger akute Sanierungsfälle als in Zeiten tiefster Rezession. Dennoch drohen auch im Konjunkturhoch Gefahren für Unternehmen, die es in den Griff zu bekommen gilt. Abhilfe schaffen wollen Experten wie Alvarez & Marsal, die ursprünglich aus dem Restrukturierungsbereich kommen, ihren Schwerpunkt aber immer mehr hin zu Ertragsteigerungsprogrammen verlagern. Im Interview spricht Deutschland-Chef Dr. Walter Bickel über Fallstricke im Wirtschaftsaufschwung, wie sich Unternehmen dagegen wappnen können und warum Konzepte von Unternehmensberatern allein nicht zielführend sind.

Unternehmeredition: Herr Dr. Bickel, wo drohen im Konjunkturhoch Gefahren für Unternehmen?

Bickel: Die größte Gefahr zu Boom-Zeiten besteht darin, dass Unternehmen wieder in jene typischen Verhaltensmuster zurückzufallen, die sie zuvor in schwieriges Fahrwasser gebracht haben. Das Syndrom des Verdrängens spielt gerade dann eine große Rolle. In guten Zeiten wird oft nicht genügend Eigenkapital aufgebaut – das rächt sich dann in späteren Krisen. Außerdem werden die Zügel auf der Kostenseite nicht straff genug gehalten, variable Kosten werden wieder zu Fixkosten, das Verhältnis zwischen eigener und fremder Wertschöpfung wird vernachlässigt. Im Falle schlechter werdender Zeiten ist man dann erneut nicht mehr in der Lage, Umsatzrückgänge abzufangen. Ein Unternehmen sollte immer so flexibel aufgestellt sein, dass man bereits mit 70% Kapazitätsauslastung immer noch den Break-even erreicht. Wer das schafft, kann gut auf konjunkturelle Schwankungen reagieren. Die schwieriger werdende Finanzierung hat sich auf die Unternehmen wie ein Fitness-Programm ausgewirkt: Unpopuläre, aber nötige Maßnahmen wurden durchgeführt und die Geschäftsmodelle systematisch auf Profitabilitätsreserven überprüft. Ich kann nur dafür plädieren, daran weiterzuarbeiten.

Unternehmeredition: Wohin verlagern sich die Schwerpunkte für Restrukturierungsexperten in Aufschwungphasen im Unterschied zu konjunkturellen Krisenzeiten?

Bickel: In Krisenzeiten steht immer die Liquidität und damit die Optimierung des Working Capital an erster Stelle, um finanzielle Spielräume für den Restrukturierungsprozess zu schaffen. Nachdem die Finanzierung gesichert ist, geht es im Wesentlichen um die Umsetzung der auf die GuV und die Kapitalstruktur abzielenden Programme. Diese müssen in einem unmittelbaren strategischen Kontext stehen. Wie muss das Unternehmen strategisch aufgestellt sein, um nachhaltige Ertragskraft zu schaffen? Im konjunkturellen Aufschwung verlagert sich die Arbeit von Restrukturierungsexperten immer mehr in Richtung Ergebnissteigerung, Performance Improvement – Alvarez & Marsal erzielt damit weltweit bereits 60% der Umsätze. Diese Serviceleistungen bieten wir u.a. auch Private-Equity-Gesellschaften an, um deren Portfolios profitabler zu machen. Im Vergleich zur klassischen Restrukturierung entfällt beim Performance Improvement der hohe Zeitdruck, da nicht die Frage der Liquidität im Vordergrund steht, sondern die Steigerung der Profitabilität.Unternehmeredition: In der Unternehmensberatung fordern Sie einen Richtungswechsel weg von visionären Strategien und dem Erstellen reiner Konzepte hin zur konkreten und raschen Umsetzung im Unternehmen. Was steckt dahinter?

Bickel: Es gibt in Deutschland wahrscheinlich kein Unternehmen, das nicht bereits von mehreren Unternehmensberatungen durchleuchtet worden ist. Zurück bleiben konzeptionell brillant gemachte, intellektuell bestechende Pamphlete – offen bleibt aber die Frage nach deren Umsetzung. Das führt zu Frustrationen. Natürlich braucht man ein Konzept, aber nicht als Selbstzweck, sondern als Richtschnur, um einen Umbau vernünftig durchzuführen. Die intellektuelle Herausforderung besteht in der operativen Umsetzung des Konzeptes im Unternehmen. Dafür braucht es Erfahrung und Reife, außerdem muss man gut mit Menschen umgehen können. Es gilt, das Projekt so aufzusetzen und zu orchestrieren, dass jeder genau weiß, was zu tun ist. Nur so lässt sich der Umsetzungsstand der einzelnen Arbeitspakete systematisch nachvollziehen. Ein theoretischer Masterplan reicht nicht aus, der Unternehmer benötigt praktische Hilfestellung bis hin zur Übernahme operativer Verantwortung, um eine zeitnahe Umsetzung zu gewährleisten. All das muss richtig kommuniziert werden, nach innen und nach außen.

Unternehmeredition: Wie hat sich Ihr Unternehmen Alvarez & Marsal positioniert?

Bickel: Wir sind als Restrukturierungshaus gestartet und positionieren uns heute als eine internationale Professional-Services-Firma, mit den Schwerpunkten Transaktionsberatung, Ertragssteigerung, Restrukturierung, Dispute Analysis and Forensic. Wir können, sowohl in der Krise als auch im Aufschwung, einem Unternehmer zur Seite stehen, um Prozesse zu beschleunigen. Wir unterscheiden uns vom klassischen Berater, weil wir aktiv Organfunktionen in der Geschäftsführung übernehmen und uns somit auch Haftungsrisiken aussetzen. Wir arbeiten in kleinen Teams, die tiefe Funktions- und Branchenexpertise besitzen. Wir haben einen Know-how-Vorsprung, weil diese Themen unser Tagesgeschäft sind. Unsere Expertise stellen wir dem Unternehmer solange zur Verfügung, bis das Problem gelöst ist. Außerdem kann vereinbart werden, dass wir erfolgsabhängig vergütet werden. Für konkrete, stichhaltige Ergebnisse sind die Unternehmen auch bereit zu bezahlen. Gute Beratung kostet Geld, schlechte ein Vermögen.Unternehmeredition: Was ist Ihr wichtigster Rat an Familienunternehmen zur Bewältigung von Krisen?

Bickel: Wir haben in Deutschland sehr viel Hidden Champions. Zum Großteil sind dies mittelständische Familienunternehmen. In der Krise brauchen diese jedoch Unterstützung von außen, weil sie sich eben nicht permanent mit Krisenbewältigung beschäftigen. Auf ruhiger See zu segeln ist anders als in einem Sturm. Außerdem hat man es heute in wirtschaftlichen Schieflagen nicht mehr nur mit herkömmlichen Bankenkonsortien zu tun, sondern mit neuen Playern wie Hedge-, Private-Equity- oder Mezzanine-Fonds. Mit diesen unterschiedlichen Interessenlagen gilt es, rasch richtig umzugehen. Wer als Unternehmer damit das erste Mal konfrontiert wird, hat es schwer. Die Zeit, die man in Verhandlungen verliert, fehlt im operativen Geschäft – ein klassisches Dilemma. Hier springen wir ein und übernehmen aktiv Steuerungsfunktionen, während der Unternehmer weiter dem operativen Geschäft nachgehen kann. Das ist kein Zeichen von Schwäche – man kauft damit einfach Know-how und “Do-how” auf Zeit.

Unternehmeredition: Herr Dr. Bickel, vielen Dank für das Gespräch!


Zur Person 
Dr. Walter Bickel ist Geschäftsführer der Alvarez & Marsal Deutschland GmbH in München. Er verfügt über mehr als 26 Jahre Restrukturierungserfahrung, davon 13 Jahre in Geschäftsführer-Positionen. Zuletzt hat er u.a. der Kuka AG als COO zur Seite gestanden. Das Unternehmen ist spezialisiert auf operative und finanzielle Wertsteigerung, Sanierungsberatung, Krisen- und Interims-Management sowie auf die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität. Weltweit sind bei Alvarez & Marsal 1.700 Mitarbeiter an 40 Standorten tätig. www.alvarezandmarsal.de

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