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Die Alten sind da – Teil 1

Mittelständler sangen ein Loblied auf die Jugend. Heute setzen Unternehmen immer mehr auf ältere Mitarbeiter. Fachkräftemangel und demografischer Wandel sind nicht die einzigen Gründe dafür.

Die Aktion hatte etwas von einem Schildbürger-Streich und zauberte so manchem ehemaligen Daimler-Mitarbeiter ein schadenfrohes Lächeln aufs Gesicht. Gerhard Brosek lacht sich jetzt noch ins Fäustchen. „Um die Jahrtausendwende waren es gerade die großen Automobilkonzerne, die ihre Mitarbeiter in den Vorruhestand schickten, sobald sie das 55. Lebensjahr erreicht hatten“, sagt er. Genau das hat Brosek vor 17 Jahren erlebt. „Auf einmal war man ‚Senior‘ und wurde ‚entsorgt‘“, erinnert sich der heute 72-Jährige. Umso mehr musste der Stuttgarter schmunzeln, als er Ende 2013 erfuhr, dass „sein“ Konzern für Spezialeinsätze plötzlich „Daimler-Rentner“ suchte. Ein Grund dafür: Der Autohersteller führte ein neues IT-System ein, hatte jedoch keinen Mitarbeiter mehr an Bord, der die Programmier-Sprache noch beherrschte.

Fast 100 Ruhständler holte Daimler bis Mai 2014 zurück. Außer im IT-Bereich wurden sie bei Serienanläufen neuer Modelle eingesetzt. „Wir verfügten nicht an jeder Stelle im Unternehmen über Menschen, die schon so viele Anläufe mitgemacht hatten“, gab Personalvorstand Wilfried Porth zu. So entsandten die Stuttgarter ihre „Ehemaligen“ als Experten sogar ins Ausland. Und auf einmal störte es gar nicht mehr, dass die Ex-Mitarbeiter mit ihren inzwischen 65 bis 70 Jahren jetzt tatsächlich zu den Senioren zählten.

Was Großkonzerne wie Daimler, Bosch oder die Deutsche Lufthansa erst seit wenigen Jahren bemerken, hat so mancher Mittelständler längst erkannt: Aufgrund des demografischen Wandels und des zunehmenden Fachkräftemangels wird es immer wichtiger, ältere Angestellte, die sogenannte „Generation 50 plus“, so lange wie möglich im Unternehmen zu halten. Und nicht nur das: Nach und nach gehen Firmen sogar dazu über, bewusst Mitarbeiter zu rekrutieren, deren Lebensalter deutlich jenseits der 50 liegt. Während Konzernvorstände und Firmenlenker vor etwas mehr als 15 Jahren noch auf die Offenheit, Flexibilität und das frische Hochschulwissen junger Berufseinsteiger setzten, schätzen heute viele die Erfahrung, Treue und Souveränität der alten Garde.

Anteil der Unternehmen, die in den vergangenen fünf Jahren Mitarbeiter im Alter von 50 bis 59 Jahren eingestellt haben

Quelle: handelsblatt © Statista 2016

Umdenken oder Abhilfe?

Vom Loblied auf die Jugend hin zur Wertschätzung von Berufserfahrung und Lebensklugheit: Dieser Wandel in den Köpfen der Entscheider mag für ältere Arbeitnehmer viele Vorteile bringen und sich positiv auf die Beschäftigungszahlen auswirken. Eine Frage drängt sich jedoch auf: Findet derzeit ein echtes Umdenken statt oder machen Unternehmen aus ihrer Not lediglich eine neue Tugend?

Mittelständler sangen ein Loblied auf die Jugend. Heute setzen Unternehmen immer mehr auf ältere Mitarbeiter. Fachkräftemangel und demografischer Wandel sind nicht die einzigen Gründe dafür.

Bei der Fahrion Engineering GmbH & Co. KG in Kornwestheim bei Stuttgart war es tatsächlich eine akute Notsituation, die Firmenchef Otmar Fahrion im Jahr 2000 auf die Idee brachte, ältere Mitarbeiter anzuwerben. Sein Sohn Jens, der das Unternehmen zusammen mit seinem Bruder Eric inzwischen übernommen hat, erinnert sich noch gut daran, wie bedrohlich die Lage vor 16 Jahren war. „Damals haben uns auf einen Schlag mehrere Projektleiter verlassen“, erzählt er. Vater Otmar suchte dringend nach Ersatz, doch das war nicht so leicht.


„Fachkräfte, die über 50 oder gar 55 sind, haben ein breites Wissen, sind oft Generalisten“

Jens Fahrion, Geschäftsführer Fahrion Engineering GmbH & Co. KG


Der Ingenieurbetrieb in Kornwestheim plant für Autokonzerne, Zulieferer, Luftfahrtunternehmen oder Werften Produktionsanlagen bis hin zu kompletten Fabriken. „Aber Fabrikplanung wird an keiner Hochschule gelehrt“, sagt Jens Fahrion. Die Kenntnisse, die dafür notwendig sind, hatten sich die Projektleiter, von Haus aus meist Maschinenbauingenieure, während ihrer Tätigkeit im Unternehmen angeeignet. „Um diesen Job auszuüben, muss ein Ingenieur bis zu einem gewissen Grad auch in BWL, Jura und in EDV-Themen fit sein“, erklärt Fahrion. Über Stellenanzeigen ließen sich keine geeigneten Kandidaten finden. Bis Firmenchef Otmar Fahrion schließlich ein Inserat ganz anderer Art ersann.

Streitbare Anzeige

„Mit 45 zu alt – mit 55 überflüssig? Wir suchen Ingenieure, Techniker und Meister bis 65.“ Das war der Text der Annonce, auf die Fahrion über 500 Bewerbungen erhielt. Die Idee hinter dieser etwas streitbaren Anzeige, wie Sohn Jens sie heute nennt, hatte funktioniert. „Meinem Vater war klar geworden, dass wir uns gezielt an ältere Arbeitnehmer wenden mussten“, berichtet der heutige Geschäftsführer. Denn nur diese konnten zumindest einige der Kenntnisse mitbringen, die ein Projektleiter bei Fahrion brauchte. Zwölf Positionen besetzte das Unternehmen – und war gerettet.

Mittelständler sangen ein Loblied auf die Jugend. Heute setzen Unternehmen immer mehr auf ältere Mitarbeiter. Fachkräftemangel und demografischer Wandel sind nicht die einzigen Gründe dafür.

16 Jahre später herrscht bei Fahrion Engineering längst keine Not mehr. Die Auftragsbücher sind voll, die Geschäfte florieren. Von der Idee, ältere Arbeitskräfte einzustellen, hat sich das Unternehmen aber nie mehr verabschiedet. Heute liegt das Durchschnittsalter der 70 Mitarbeiter bei 52 Jahren. „Fachkräfte, die über 50 oder gar 55 sind, haben ein breites Wissen, sind oft Generalisten“, sagt er. Davon profitiere sein Betrieb. Zudem seien die Älteren im Vorteil, wenn es darum gehe, Kunden die Planung einer neuen Fabrik vorzustellen. „Da sitzen schließlich die Geschäftsführer, die meist selbst zur Generation 50 plus gehören.“ Einem 30-jährigen Berufseinsteiger würden bei solchen Präsentationen schon einmal die Knie schlottern. Ein „alter Hase“ hingegen tue sich leicht.

Wie der Geschäftsführer des Ingenieurbetriebs in Kornwestheim denken allerdings längst nicht alle Firmenlenker. „Rund 60 Prozent der deutschen Unternehmen beschäftigen keine Mitarbeiter, die älter als 60 sind“, weiß Hans-Georg Pompe. 20 Jahre lang war er selbst bei Dienstleistungsunternehmen als Führungskraft in Management, Marketing und Vertrieb tätig. Seit 2004 berät er kleine und mittelständische Unternehmen. Als Buchautor beschäftigt er sich mit der Generation 50 plus. „Angesichts der Tatsache, dass immer weniger junge Arbeitnehmer auf den Markt kommen, müssen sich die Personalabteilungen aber dringend von dem immer noch vorherrschenden Jugendwahn verabschieden“, sagt Pompe.

Lesen Sie hier den zweiten Teil über die Renaissance älterer Mitarbeiter

 

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