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Der Nachfolgekomplex

Handschlag: Die Senioren müssen früher den Generationenwechsel zulassen und die Verantwortung abgeben.

Handschlag: Die Senioren müssen früher den Generationenwechsel zulassen und die Verantwortung abgeben.

Immer wieder scheitern Übergaben von Familienunternehmen daran, dass Patriarchen der Generation 75 plus diese nicht oder viel zu spät vorbereiten. Wenn Unternehmer den Platz für die nächste Generation nicht räumen, steht die Existenz des Familienunternehmens auf dem Spiel. Warum der Generationenwechsel nicht zum Generationenproblem werden darf.

Am Ende ging es gerade noch einmal gut. 67 Jahre lang stand Hans Riegel junior an der Spitze des Bonner Süßwarenimperiums Haribo, gehen wollte er einfach nicht. „Ich mache meine Arbeit, weil sie mir Freude macht, und ich habe keinen Grund, mir die Freude selbst zu nehmen“, sagte er 2010 im Alter von 87 Jahren in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Noch an seinem 90. Geburtstag im März 2013 erklärte der Firmenpatriarch, er sei bis dato fast täglich im Büro. Zwar hatte Riegel vier Jahre zuvor, kurz nach dem Tod von Bruder Paul, der die Produktion verantwortete, zwei seiner Neffen ins Unternehmen geholt. Zudem verpasste er Haribo eine Holding-Struktur. Einen Fremdgeschäftsführer, der in der Lage war, die Geschicke der Firma tatsächlich zu lenken, stellte Riegel jedoch erst im Sommer 2013 ein – wenige Monate vor seinem Tod.

Vergleichsweise strukturiert sieht es bei einem ganz aktuellen Beispiel aus. Günther Fielmann, Gründer der gleichnamigen Optikerkette, hat nun angekündigt, sich aus der operativen Leitung zurückzuziehen. Fielmann geht stramm auf die 80 zu. Anfang Februar gab der Firmenpatriarch bekannt, sein Sohn Marc werde die Führung des Unternehmens in diesem Geschäftsjahr ganz übernehmen. Der 29-Jährige war in den vergangenen acht Jahren Schritt für Schritt in die Fußstapfen seines Vaters getreten. Jetzt will Günther Fielmann seinem Filius auch die Verantwortung für die Firmenstrategie übertragen. Aus seiner Tätigkeit im Vorstand wird Fielmann senior sich ebenfalls weiter zurückziehen – im Alter von stolzen 79 Jahren.

Das Klammern des Einen ist das Vakuum des Anderen

Dass mittelständische Firmenpatriarchen der Generation 75 plus wie Günther Fielmann der Hans Riegel erst in hohem Alter von ihrem Thron steigen, ist keine Seltenheit. So war der ehemalige Chef des Technologieunternehmens Trumpf, Berthold Leibinger, bereits 75 Jahre alt, als er das Unternehmen seiner Tochter Nicola Leibinger-Kammüller übertrug. Helene Metz stand gar bis zu ihrem 86. Lebensjahr an der Spitze des gleichnamigen Fernsehherstellers. Dahinter verbirgt sich eine Haltung, die zum Problem werden kann: Viele Unternehmer des alten Schlages – erst recht, wenn sie Gründer sind – lassen einen internen oder externen Nachfolger lange Zeit gar nicht in die Nähe ihres selbsterklärten Machtzentrums.

Dieser Nachfolgekomplex ist nicht nur ein unternehmerisches Risiko, sondern mittlerweile auch ein volkswirtschaftliches. Denn aus dem Klammern der Alten an die Geschäftsführung entsteht ein potenzielles Führungsvakuum für die Jungen: Wer im wahrsten Wortsinn nicht herangeführt wird an die Geschäftsleitung, kann das Unternehmen weder organisieren noch weiterentwickeln. Wenn dann der Patriarch unverhoffter Dinge körperlich abbaut, droht gleichermaßen der wirtschaftliche Kollaps.

Innere Zwänge contra die Nachfolge

„Immer wieder scheitern Übergaben von Familienunternehmen daran, dass Patriarchen der Generation 75 plus diese nicht oder viel zu spät vorbereiten“, konstatiert Tom Rüsen, geschäftsführender Direktor des Wittener Instituts für Familienunternehmen. Dies geschieht offensichtlich wider besseres Wissen. Schließlich informiert nahezu jede Industrie- und Handelskammer darüber, wie enorm wichtig eine rechtzeitige Nachfolgeplanung ist, und mahnt, zumindest den berüchtigten Notfallkoffer parat zu haben. Doch einige betagten Machtmenschen halten sich für unverzichtbar und dulden niemanden neben sich. So scheint es zumindest auf den ersten Blick.

Die wahren Ursachen dafür, dass Firmenchefs nicht loslassen, liegen jedoch viel tiefer. Wer sich mit seinen inneren Zwängen auseinandersetzt, hat auch im hohen Alter noch immer die Chance, das Ruder herumzureißen und sein Unternehmen doch gut in die nächste Generation zu übergeben. Die gute Nachricht: Firmenchefs, die heute um die 55 Jahre alt sind, trennen sich deutlich leichter von ihren Unternehmen.

Immer wieder scheitern Übergaben von Familienunternehmen daran, dass Patriarchen der Generation 75 plus diese nicht oder viel zu spät vorbereiten. Wenn Unternehmer den Platz für die nächste Generation nicht räumen, steht die Existenz des Familienunternehmens auf dem Spiel. Warum der Generationenwechsel nicht zum Generationenproblem werden darf.

Caroline Kretschmann mit ihren Eltenr Ernst-Friedrich und Sylvia: Respekt vor der Phase des endgültigen Loslassens.© Der Europäische Hof Hotel Europa Heidelberg GmbH

Im Europäischen Hof in Heidelberg ist der Nachfolgeprozess bereits angelaufen. Seit Dezember 2012 ist Caroline von Kretschmann geschäftsführende Gesellschafterin der Betriebsgesellschaft des privat geführten Fünf-Sterne-Hotels, bei der 165 Mitarbeiter, darunter 40 Auszubildende, angestellt sind. Eines Tages an die Stelle ihres Vaters und ihrer Mutter zu treten, das hatte von Kretschmann nicht geplant. Längst hatte sie sich nach einer Banklehre und anschließendem BWL-Studium mit Promotion ein eigenes Leben in Berlin aufgebaut, als die Eltern ihr die Nachfolge 2005 zum ersten Mal anboten. „Das habe ich damals schweren Herzens abgelehnt“, erzählt die heutige Chefin.

Sanfter und fließender Übergang

Ihre Eltern verstanden die Entscheidung, aber sie selbst merkte bald, dass sie dem Familienunternehmen eine Chance geben musste: Im Jahr 2010, also fünf Jahre später, stieg sie dann doch ein. Ihre Eltern, Sylvia und Ernst-Friedrich von Kretschmann, sind bis heute im Unternehmen tätig. Mit der Zeit haben sie ihre Aufgaben immer weiter reduziert, Caroline von Kretschmann hat gleichzeitig zunehmend Verantwortung übernommen. „Wir haben eine sehr gute Beziehung“, sagt die Hotelchefin. Jeden Tag isst sie mit ihren Eltern zu Mittag, Entscheidungen werden besprochen; Konflikte, ohne die ein Nachfolgeprozess nie über die Bühne geht, werden offen ausgetragen.

„Obwohl die schrittweise Übergabe sehr gut läuft, ist es für meine Eltern auch eine Herausforderung, sich zurückzuziehen“, berichtet von Kretschmann. Sie haben das Hotel 1965 in dritter Generation übernommen, ihre Mutter war damals 24 Jahre alt, ihr Vater 26. Der Europäische Hof war für sage und schreibe 53 Jahre ihr Lebensinhalt. „Meine Eltern sind mit dem Hotel verwachsen, sie sind das Hotel“, sagt von Kretschmann. Und Sie wissen, dass die Tochter auf ihre Erfahrung noch zählt. „Dass sie und ich vor der Phase des endgültigen Loslassens Respekt haben, ist nicht verwunderlich“, sagt von Kretschmann.

Familie Harting: “Wir haben alle die Fähigkeit, unser Ego vor der Tür zu lassen.” © HARTING Stiftung & Co. KG

Ähnliche integrative Modelle wie bei den von Kretschmanns, bei denen die Juniorin oder der Junior rechtzeitig die strategische Führungsrolle übernimmt, gibt es häufiger, als man meint. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Familie Harting von der gleichnamigen Technologiegruppe aus Minden. Der Spezialist für Verbindungstechnik gehört mit einem Umsatz von über 750 Mio. Euro und knapp 5.000 Mitarbeitern zu den Hidden Champions. Seit Oktober 2015 ist Philip Harting Vorstandsvorsitzender, seine Schwester ist CFO. Aber auch Mutter Margit Harting ist weiter im Vorstand für Personal aktiv, der Vater ist ebenfalls vertreten: „Wir streiten mit Argumenten und haben alle die Fähigkeit, unser Ego vor der Tür zu lassen“, beschreibt der Junior Philip Harting die Chemie zwischen den Generationen.

Das Prinz-Charles-Syndrom

Bei vielen Gründern sieht das anders aus. Sie waren nicht in der Position eines Nachfolgers, identifizieren sich noch stärker mit ihrem Unternehmen – und können ihr Lebenswerk häufig deutlich schlechter loslassen.

„Ich habe kürzlich mit einem solchen Gründer gesprochen“, berichtet Sabine Rau, Partnerin bei Peter May Family Business Consulting. Die Tochter des Unternehmers war längst in der Firma tätig, der Nachfolgeprozess entwickelte sich positiv. Doch als Rau sich erkundigte, warum er das Unternehmen denn nicht endlich ganz an seine Tochter übergebe, erhielt sie eine Frage zur Antwort: „Wenn sie künftig die Nummer eins ist, wer bin ich denn dann?“

Immer wieder scheitern Übergaben von Familienunternehmen daran, dass Patriarchen der Generation 75 plus diese nicht oder viel zu spät vorbereiten. Wenn Unternehmer den Platz für die nächste Generation nicht räumen, steht die Existenz des Familienunternehmens auf dem Spiel. Warum der Generationenwechsel nicht zum Generationenproblem werden darf.

„Das ist ein nicht zu unterschätzendes Phänomen“, sagt Rau. „Gründer der Generation 75 plus haben in ihrem Leben nie etwas anderes gemacht, als das Unternehmen zu führen, sie sind intrinsisch motiviert“, erklärt sie. Ihre Firma ist mehr als ihr Lebensinhalt, sie ist vielmehr Teil ihrer Persönlichkeit, sie werden selbst zum Unternehmen. „Wenn sie es abgeben, ist das wie Selbstmord“, sagt Rau. Tatsächlich sei zu beobachten, dass gerade Gründer der Nachkriegszeit versterben, kurz nachdem sie ihr Lebenswerk in neue Hände übergeben haben.

Christine Rademacher, Leiterin Financial Engineering bei der Commerzbank, hat mit Komplikationen bei der Nachfolge immer wieder zu tun. Etwa dann, wenn es um Finanzierungen für Investitionen geht, die der Gründer noch stemmen möchte. „Ich denke, das Phänomen, nicht loslassen zu können, hat mit Starrsinn wenig zu tun“, sagt die Finanzierungsexpertin. Vielmehr sind häufig bei Gründern des alten Schlages Wertvorstellungen ausgeprägter als etwa bei Firmenlenkern der Nachfolgegeneration. „Sie empfinden eine sehr große Verantwortung für den Wert, den sie mit ihrem Unternehmen geschaffen haben“, analysiert Rademacher. Die Gründer sehen sich selbst als der Unternehmer vor Ort, der für das Wohlergehen in der Region steht. „Das Gefühl, seine Mitarbeiter seien auf ihn angewiesen, lassen diesen Unternehmertyp oft keinen Zeitpunkt für einen Ausstieg finden.“

© KfW Mittelstandsatlas-2018

Angst vor dem kleinen Tod

Solche Situationen führen dann zu einer abstrakten Melancholie, nicht mehr gestalten zu können. „Hinzu kommt die generelle Angst vor der Zeit nach dem Ausstieg aus der Firma“, erklärt Wissenschaftler Rüsen. Der Unternehmer fürchtet, in ein großes schwarzes Loch zu fallen. „Die Firmenübergabe wird in der Tat wie ein ‚kleines Sterben‘ empfunden, das umso schlimmer ist, wenn sich abzeichnet, dass das Unternehmen nicht innerhalb der Familie weitergeführt werden kann“, resümiert Rüsen. In diesem Fall schieben die Patriarchen ihre Nachfolge noch weiter hinaus.

Und nicht zuletzt haben sie vielfach auch ganz einfach noch keine Lust, zu gehen. „Gründer im heutigen Alter von 75 plus sind zwar mit begrenzten Ressourcen aufgewachsen, haben dann aber meist hohes Wachstum und Wohlstand erlebt“, erklärt Dominik von Au, Geschäftsführer der Intes Akademie für Familienunternehmen und Partner bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC. Dadurch sind sie länger fit als Vertreter ihrer Vorgängergeneration. „Und wenn 80 das neue 60 ist, fragen sie sich: ‚Warum denn jetzt schon aufhören?”

Immer wieder scheitern Übergaben von Familienunternehmen daran, dass Patriarchen der Generation 75 plus diese nicht oder viel zu spät vorbereiten. Wenn Unternehmer den Platz für die nächste Generation nicht räumen, steht die Existenz des Familienunternehmens auf dem Spiel. Warum der Generationenwechsel nicht zum Generationenproblem werden darf.

Rüstig, aber nicht mehr dynamisch

Mögen die Gründe für ein Klammern am Unternehmen nachvollziehbar sein, so ändert dies nichts daran, dass das Prinz-Charles-Syndrom verheerende Folgen haben kann. „Der Unternehmer ist vielleicht tatsächlich noch rüstig, möchte sich aber mit aktuellen Entwicklungen wie der Digitalisierung nicht mehr beschäftigen“, gibt Holger Habermann vom Beratungshaus K.E.R.N zu bedenken. „Mangelt es an Innovationskraft, bleibt mit der Zeit der Erfolg aus, die Firma hinter ihren Wettbewerbern zurück, die Marktposition wird geschwächt.“ Möchten sie doch noch investieren, dann wird es für Banken mit steigendem Alter des Firmenchefs immer schwieriger, Finanzierungen zu gewähren. Das Problem verschärft sich, wenn keine Nachfolge geplant ist.

Ist bereits ein potenzieller Nachfolger im Unternehmen tätig, so hat dieser keine Chance, in seine künftige Rolle hineinzuwachsen, solange der Altinhaber keine Verantwortung abgibt. Das Ganze wird in der Fachwelt auch als Prinz-Charles-Syndrom bezeichnet, in Anlehnung an den seit Jahrzehnten auf den Thron wartenden Nachfolger der britschen Queen. „Mir hat kürzlich ein 80-jähriger Gründer seinen ‚Junior‘ vorgestellt, der selbst schon 58 Jahre alt war“, berichtet Finanzierungsexpertin Rademacher. In der Firma kommt dem Sohn des Unternehmers genau diese Rolle zu. „Er ist der Junior, der Respekt gebührt dem Vater“, pointiert Rademacher. Übernimmt ein solcher Juniorchef eines Tages tatsächlich, hat er es häufig schwer, die Anerkennung zu gewinnen, die sein Vorgänger genossen hat.

Schlimmer noch: Wird der Senior ernsthaft krank oder stirbt, muss die nächste Generation häufig nahezu unvorbereitet übernehmen, sofern zu diesem Zeitpunkt überhaupt ein Nachfolger aus dem Familienkreis zur Verfügung steht. Eventuell haben sich Kinder oder Enkel längst ihr eigenes Berufsleben aufgebaut, weil sie auf ihre Position als neuer Firmenchef nicht Jahrzehnte warten wollten. „Muss das Unternehmen dann verkauft werden, finden wir zwar oft Interessenten“, sagt Rademacher. Es besteht aber die Gefahr, dass die Firmen dann zu unangemessen niedrigen Preisen verkauft werden müssen. Sollte gar kein Käufer parat stehen, bleibt den Erben nichts anderes übrig, als das Unternehmen zu liquidieren. Dann hat der Patriarch durch sein Festhalten an der Firma genau das provoziert, was er am meisten fürchtete – die Vernichtung seines Lebenswerks.

Schwund der deutschen Wirtschaftskraft

Für die deutsche Wirtschaft kann es erhebliche Auswirkungen haben, wenn Unternehmer aus Angst vor Identitätsverlust oder aus einem falsch verstandenen Verantwortungsgefühl heraus letztendlich verantwortungslos handeln. Nach den Ergebnissen einer Sonderauswertung zum KfW-Mittelstandspanel 2018 planen weit über 200.000 Inhaber kleinerer und mittlerer Unternehmen, sich bis Ende 2019 zurückzuziehen. Die Bedeutung dieser Firmen ist beachtlich. Noch im Jahr 2016 waren sie Arbeitgeber für rund zwei Millionen Erwerbstätige und fast 90.000 Auszubildende. Und fast jeder Zweite von ihnen war zum Zeitpunkt der Erhebung zwischen Februar und Juni 2017 auf eine anstehende Nachfolge jedoch nicht vorbereitet. Das sind dramatische Zahlen.

Verschwindet eine Vielzahl dieser Unternehmen vom Markt, bedeutet es, dass Arbeitsplätze, Vermögen und Werte vernichtet sind. „Gerade in Branchen wie dem Maschinenbau oder der Automobilproduktion, wo Mittelständler besonders stark vertreten sind, würde ein Konzentrationsprozess stattfinden“, sagt Roland Greppmair von Beratungshaus K.E.R.N. Die mittelständische Vielfalt nähme ab, damit auch Ideenreichtum und Erfindergeist. „Und nicht zuletzt käme es zu Steuereinbußen“, fasst Greppmair zusammen.

Doch so weit muss es nicht kommen. „Der Typus Patriarch stirbt langsam aus“, sagt Dominik von Au. Die Unternehmer, die heute 55 Jahre oder älter sind, haben deutlich weniger Probleme damit, sich von ihrer Firma zu trennen. So gab in einer Umfrage der Intes Akademie und des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn unter mehr als 70 Unternehmern immerhin jeder Zweite von ihnen an, er hätte schon viele Ideen für die Zeit als Rentner. „Bei den jüngeren Firmenlenkern herrscht ein viel größeres Bewusstsein für das Thema, sie sehen die Nachfolge mehr als Chance denn als Zwang an“, beobachtet auch Alexander Koeberle-Schmid, Experte für die familieninterne Unternehmensnachfolge.

Immer wieder scheitern Übergaben von Familienunternehmen daran, dass Patriarchen der Generation 75 plus diese nicht oder viel zu spät vorbereiten. Wenn Unternehmer den Platz für die nächste Generation nicht räumen, steht die Existenz des Familienunternehmens auf dem Spiel. Warum der Generationenwechsel nicht zum Generationenproblem werden darf.

Nachfolgeplanung jenseits der eigenen Familie

Einer, der seine Nachfolge frühzeitig vorbereitet hat, ist Peter Arpogaus, bis Ende 2017 Inhaber der Arpogaus Stahlbau GmbH in Wiggensbach im Allgäu. Anfang 2018 übergab er durch einen Management Buy-in das Unternehmen an Tobias Grimmig, der seitdem an der Spitze des Mittelständlers steht. „Ich bin Maschinenbauingenieur und habe zuletzt bei einer großen deutschen Unternehmensberatung gearbeitet“, berichtet der heutige Firmenchef, der gerade einmal 30 Jahre alt ist.

Der neue Eigentümber von Arpogaus Stahlbau Tobias Grimmig: Der ehmalige Unternehmensberater trat vor einem jahr über einen Management Buy-in die Nachfolge an. © Tobias Burger

Grimmig wollte irgendwann Unternehmer werden: „Ich dachte mir, den Wunsch nach Gestaltungsfreiheit kann ich mir am besten durch den Weg in die Selbstständigkeit verwirklichen“, berichtet er. Doch gerade im Anlagen- und damit kapitalintensiven Maschinenbau ist die Gründung eines eigenen Unternehmens schwierig. „So reifte der Wunsch, ein bereits bestehendes mittelständisches Unternehmen zu übernehmen. Ich habe über Netzwerke gesucht, mit Kollegen und Banken gesprochen, war auf Plattformen für Unternehmenskäufe und -verkäufe unterwegs.“ Schließlich stieß er auf Arpogaus Stahlbau. Nach neun Monaten intensiver Vorbereitung kam es zur Vertragsunterzeichnung.

„Die Übernahme war die beste Entscheidung meines Lebens“, findet Grimmig rückblickend. Er empfindet es als gut, dass Peter Arpogaus rechtzeitig über seine Nachfolge nachgedacht und auch den Übergang begleitet hat. So konnten Arbeitsplätze und Standort für die Zukunft bewahrt werden. „In meiner Generation besteht durchaus großes Interesse, sich selbstständig zu machen“, berichtet Grimmig. „Es ist viel zu wenig bekannt, dass es in vielerlei Hinsicht oft vorteilhafter ist, ein bestehendes Unternehmen zu übernehmen, statt ein eigenes Start-up zu gründen.“ Darüber muss viel mehr Wissen vermittelt werden und eine stärkere öffentliche Diskussion stattfinden.

Strategien für die Rente

Wissen vermitteln – genau das wäre eigentlich der perfekte Plan für die Patriarchen nach ihrer Karriere. „Sie könnten in die Lehre gehen, eine Stiftung gründen oder sich als Business Angels betätigen“, schlägt Wissenschaftler Rüsen vor. Die Hauptsache ist, dass Unternehmer klare Projekte und Ziele vor Augen haben, die ihnen die Angst vor dem schwarzen Loch nehmen (siehe auch Interview mit Hermut Kormann weiter unten).

Immer wieder scheitern Übergaben von Familienunternehmen daran, dass Patriarchen der Generation 75 plus diese nicht oder viel zu spät vorbereiten. Wenn Unternehmer den Platz für die nächste Generation nicht räumen, steht die Existenz des Familienunternehmens auf dem Spiel. Warum der Generationenwechsel nicht zum Generationenproblem werden darf.

Alexander-Brochier © Haus des Stiftens gGmbH

Dass solche Projekte sehr erfüllend sein können, zeigen gleich mehrere Beispiele. Eines der bekanntesten ist Alexander Brochier. Von 1976 bis 2016 stand er an der Spitze der Brochier Gruppe, eines Komplettanbieters für Gebäudetechnik mit Sitz in Nürnberg. Als er schließlich die Verantwortung für das Familienunternehmen an seinen Neffen Christian Waitz und einen weiteren Geschäftsführer übergab, brauchte er keine Leere zu fürchten. Denn Brochier hatte bereits 1992 eine Stiftung zur Förderung benachteiligter Kinder gegründet. Drei Jahre später hob er das Haus des Stiftens in München aus der Taufe, das inzwischen 1.400 Stiftungen betreut. Für seine Arbeit nach dem Unternehmerleben erhielt Brochier schließlich im vergangenen Oktober den Preis „Entrepreneur of the Year“ der Beratungsgesellschaft EY.

Ein anderer prominenter Fall ist Werner Kieser, der die gleichnamige Fitnesskette gegründet hat und vor zwei Jahren ausgestiegen ist (siehe auch Unternehmeredition 1/2017). Seitdem ist sein ehemaliger Manager Michael Antonopoulos Hauptgesellschafter. Als Gründer sollte es Werner Kieser eigentlich besonders schwergefallen sein, nicht nur operativ loszulassen, sondern das Unternehmen auch zu veräußern. Doch hat Kieser das Karriereende geplant und Stück für Stück umgesetzt – erst operativ, dann als Gesellschafter. Heute konzentriert er sich auf seine philosophischen Interessen und gibt Vorträge: „Ich habe genauso viel Arbeit wie vorher“, sagt er. Der Unterschied besteht nur darin, dass er freier über seine Zeit verfügen kann. Alle vier bis acht Wochen treffen sich Alt- und Neugesellschafter zu einem Jour Fixe. Antonopoulos setzt weiter auf den Rat von Kieser. Wenn keine materiellen Interessen mehr damit verknüpft sind, scheint dies auch deutlich einfacher zu sein. Über seinen Abschied vom eigenen Unternehmen sagt Kieser: „Mein Unternehmen war nie Selbstzweck, sondern das Vehikel der Idee: die Welt zu kräftigen.“

Der ehemalige Unternehmer Werner Kieser: “Mein Unternehmen war nie Selbstzweck.” © Kieser Training / Severin Jakob

Kieser ist das gelungen, was beispielsweise die Berater von K.E.R.N empfehlen: „Für den Erhalt ihres Lebenswerks sollten Unternehmer die Firma vor die eigene Persönlichkeit stellen. Aus einer Helikopterperspektive lässt sich besser erkennen, wer für die Weiterentwicklung des Unternehmens passend ist, statt nur das eigene Spiegelbild zu suchen.“ Ohne eine schonungslose Auseinandersetzung mit der eigenen Psyche, den eigenen Werten und der eigenen Endlichkeit geht das allerdings nicht. Das ist nicht einfach, Gespräche mit anderen Firmenlenkern können dabei helfen.

„Ganz entscheidend für den Erfolg einer Unternehmensnachfolge sind die Strukturen und die Kommunikation in der Familie“, erklärt Professorin Rau. Die Art, wie über dieses Thema gesprochen wird, ist sogar wichtiger als eine gute Planung. Damit können die potenziellen Nachfolger wesentlich dazu beitragen, dass die Übergabe gelingt. „So kann schließlich das Vertrauen wachsen, das für den Absprung unerlässlich ist“, ist Experte Koeberle-Schmid überzeugt. Er vergleicht die Situation der Übergabe an die nächste Generation mit dem Absprung von Trapezkünstlern. „Der eine wird nicht losfliegen, wenn kein Verlass besteht, dass der andere da ist und ihn auffängt“, sagt er. Wartet der Nachfolger mit dem Zupacken, bis der Senior weg ist, wird dieser ebenfalls warten.

Professionalität statt Befindlichkeiten

In der Quintessenz geht es darum, die Nachfolge eben am Nachfolger zu orientieren und nicht am Senior. Die Junioren müssen übernehmen, bevor sie selbst Senioren geworden sind, und im besten Fall über mehr Expertise verfügen als ihre Vorgänger im gleichen Alter. Die Senioren müssen ihre eigene Planung deshalb hintanstellen. Andernfalls laufen mittelständische Familienunternehmen Gefahr, vom Markt zu verschwinden – mit allen fatalen Folgen für Arbeitnehmer und die deutsche Wirtschaft insgesamt. Der vielbeschworene demografische Wandel sorgt ohnehin dafür, dass die Zahl potenzieller Nachfolger hinter der der übergabebereiten Unternehmen zurückbleibt. Je anspruchsvoller der Wechsel, desto mehr sind Disziplin und eine klare Struktur gefragt, die Professionalität über Befindlichkeiten stellt.

 

 

 

 

 

 

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