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Der mit dem Zaren tanzt

Der Russe Apollon Fjordorowitsch Schilkin emigrierte vor den Bolschewiki ins Berlin der Goldenen Zwanziger. Sein Sohn Sergei brachte die gleichnamige Schnappsbrennerei durch den Sozialismus und holte sie sich nach dem Fall der Mauer zurück. Sein Enkel Patrick Mier führt das Unternehmen heute in der vierten Generation.

Berlin, Alt-Kaulsdorf, 2014. Der Beratungsraum des Spirituosenherstellers Schilkin hat die Gemütlichkeit eines Bistros. Längst geht es nicht mehr so turbulent zu wie zu Zeiten Sergei Schilkins, der 2007 im Alter von 92 Jahren starb. Bis zum Schluss hatte er an der Reaktivierung alter Wodkamarken gearbeitet. Seinen Enkel Patrick Mier, die mittlerweile 4. Generation, hat er im Jahr 2000 auch noch ins Unternehmen kommen sehen. Dieser studierte wie sein Großvater an der Technischen Universität Berlin Maschinenbau und wurde vom Vater gefragt, ob er nicht in die Firma kommen wollte. „Mein Vertrag als wissenschaftlicher Assistent an der Uni lief ohnehin aus“, erzählt er und erinnert sich an seine Schulzeit in Lüneburg zurück. Dort kam er als Sechzehnjähriger auf die Idee, einen Samstags-Brötchen-Bringdienst aufzuziehen. „Das war wohl der Anfang meines Unternehmerdaseins“, lächelt Patrick Mier. Doch er hatte auch prominente Vorbilder in der eigenen Familie.

Unterstützung von der Reederei

Sankt Petersburg, 1914. Bei der West-Russischen Dampfschifffahrtsgesellschaft in Sankt Petersburg hat sich der 37-jährige Apollon Fjodorowitsch Schilkin zur rechten Hand vom Generaldirektor hochgearbeitet. Da kommt sein Chef auf die Idee, den wirtschaftlichen Umbruch mit einer Wodkafabrik zu unterstützen. Inzwischen gab es Fabriken zuhauf, doch es fehlten Leute, die sich etwas zutrauten. Schilkin war aber so einer. Mit dem Geld der Reederei gründet er die Wodkafabrik „Schilkin“. Mit seinem Engagement gelang es ihm, Hoflieferant von Zar Nikolaj Romanow zu werden. Doch 1917 kam die Oktoberrevolution, 1919 wurde die Wodkafabrik zu ersten Mal verstaatlicht. Unternehmertum und Familien wie die Schilkins waren im Lande Lenins verpönt. 1921 beschloss man, mit den beiden Söhnen Sergei und Dima zu emigrieren. Ziel war der berühmte Badeort Nizza, eine Zwischenstation: Berlin. Dort traf Apollon auf einen Freund aus seiner kaufmännischen Lehre. „Apollon Fjodorowitsch“, fragte dieser, „was wollen Sie eigentlich in Nizza? Französisch können Sie nicht, Freunde haben Sie nicht und die Sonne dort haben Sie bald über – bleiben Sie in Berlin.“Wodkaboom nach dem Krieg

Also blieben die Schilkins in Karlshorst bei Berlin hängen. 1932 startete der Familienvater dann erneut durch, erwarb das Gelände eines Gutshofes im Berliner Stadtteil Alt-Kaulsdorf. Doch das Vorhaben ging beinahe schief: 200 Likör- und Schnapsbrennereien in Berlin machten den Schilkins eine Menge Konkurrenz. Über zehn Jahre lang hielt die Mutter die Familie mit Näharbeiten über Wasser. Fast den gesamten Sprit, der zur Herstellung von Wodka erforderlich war, erhielt die Wehrmacht.

Führte das Unternehmen durch die Wirren der DDR-Zeit: Sergei Schilkin

Der ältere Sohn Sergei studierte ab 1938 Maschinenbau an der heutigen Technischen Universität Berlin. 1944 starb Apollon Fjodorowitsch, und Sergei, der sein Studium mittlerweile erfolgreich abgeschlossen hatte, blieb nichts weiter übrig, als den väterlichen Betrieb im Ostteil Berlins zu übernehmen. Ihm gelang der Neustart: Wodka florierte nach dem Krieg. 84 Mark kostete eine Flasche, bis zu 300 Mark gab es auf dem Schwarzmarkt dafür. 1949 stieg Schilkin in eine andere Branche ein: Im West-Berlin gründete er gemeinsam mit seinem Schwager Jochen Gumpricht die Iron GmbH, ein Unternehmen zum Hartlöten von feinmechanischen Maschinenteilen. Das hatte er während seines Maschinenbaustudiums ausgetüftelt. Diesem Unternehmen blieb er auch während der Zeit des Eisernen Vorhangs als stiller Teilhaber erhalten.

Angebliche Steuerschuld in staatliche Beteiligung umgewandelt

Der alte Gutshof in Kaulsdorf war weiterhin Schilkins Lebensmittelpunkt. 1958 hatten die staatlichen Behörden ein Auge auf die florierende Schnapsbrennerei geworfen. Weil der Unternehmer höhere Löhne als die volkseigenen Betriebe zahlte, schoben ihm die Behörden eine Steuerschuld unter, um sie hinterher in eine staatliche Beteiligung umzuwandeln – Schilkin war nur noch zu 15% an seiner eigenen Firma mit mittlerweile 40 Mitarbeitern beteiligt. Doch die staatliche Beteiligung nutzte der umtriebige Schilkin zu seinem Vorteil aus. Weil durch die Tradition der Name „Serschin Wodka“ im Ausland bekannt und geschätzt war, wurde das Unternehmen gezielt zum Devisenbringer ausgebaut. Fortan bekam er die notwendigen Rohstoffe und Devisen für die Investition in westliche Abfüll- und Destilliermaschinen. 1961 folgte ein privater Rückschlag: Seine Tochter Elke blieb kurz vor dem Bau der Mauer im West-Berlin. Bei ihrer Hochzeit konnte er nicht dabei sein und auch die drei Enkel nicht sehen.

1972 kam Erich Honecker an die Macht. Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen, lautete die Devise. Schilkin wurde als einer der ersten fünf Betriebe Ostberlins wie seinerzeit unter Lenin wieder vollständig enteignet, er verlor seine bis dahin bestehenden 15% Beteiligung. Es gelang ihm aber, ordentliche Konditionen auszuhandeln: Weiterführung des Namens Schilkin, Beibehaltung aller Urheberrechte, das gesamte Vermögen vererbbar. Und er blieb – wenn auch nur mit Direktorengehalt – bis zu seiner Pensionierung 1981 auf dem Chefposten des Unternehmens. Als die Mauer fiel, war die Destille in Alt-Kaulsdorf die viertgrößte Schnapsbrennerei der DDR. 200 Mitarbeiter füllten 80 Mio. Flaschen ab.Von alten Kadern bei der Ehre gepackt

Berlin, März 1990. Wenige Tage vor den ersten freien Wahlen hatte die Regierung Modrow noch das Gesetz zur Reprivatisierung der zwangsverstaatlichten Firmen durchgewinkt. Ein paar Tage später standen einige Mitarbeiter des kurz vor der Abwicklung stehenden Wirtschaftsrates der DDR bei Pensionär Schilkin vor der Haustür und packten ihn bei der Ehre: „Wenn du diesen Antrag nicht unterschreibst, müssen dich die anderen für eine ausgemachte Pfeife halten.“ 15% der Anteile bekam Schilkin sofort wieder, 85% behielt

Sitz von Schilkin in Alt-Kaulsdorf bei Berlin: Hier ist das Unternehmen seit 1932 ansässig.

noch für eine kurze Zeit die damalige Treuhandanstalt. Zusätzlich handelte er auch hier wieder mehr aus: Weil man seinen Betrieb völlig heruntergewirtschaftet hatte, erhielt der Unternehmer noch eine finanzielle Apanage als Dreingabe. Zum Glück war auch Schwiegersohn Peter Mier von der deutschen Wiedervereinigung fasziniert. Der knapp 50-Jährige hatte im Westen eine Managerkarriere hingelegt, doch es reizte ihn mehr, den mittlerweile 75-jährigen Schwiegervater zu unterstützen.

Jelzin lässt Wodkaabsatz sprudeln

Moskau 1993. Im neu formierten russischen Reich regiert der „Zar“, wie ihn sein Volk liebevoll nennt, Boris Jelzin. Er streicht das von seinem Vorgänger Michael Gorbatschow verhängte Alkoholverbot gegen die eigenen Landsleute. Endlich dürfen sie wieder dem Wodka frönen. Sergej Schilkin erkennt die Lage und exportiert über ein Joint Venture in Sankt Petersburg zuhauf in sein Heimatland. Im heimischen Deutschland hat man sämtliche Handelsstrukturen aus DDR-Zeiten zerschlagen. Die Russen fangen den Umsatzeinbruch auf. Das Comeback des „Zarenwodka“, die erste Neukreation nach der Wende, wird dann auch in Deutschland zum Erfolg.

Noch heute kann man den „Zarenwodka“ nach Rezept des Firmengründers kaufen. Er ist einer der wichtigsten Produkte der Brennerei. Patrick Mier, der heute 46-Jährige Geschäftsführer, will den Status eines unabhängigen Familienbetriebes bewahren. „Wir sind mit einem moderaten Wachstum sehr zufrieden.“ Zuletzt erwirtschafteten 40 Mitarbeiter 50 Mio. EUR Umsatz mit Likören, Korn und dem berühmten Zarenwodka. Unabhängigkeit und Kampfgeist, das ist es, was die turbulente Geschichte der Marke Schilkin prägt.

 

Kurzprofil Schilkin GmbH & Co KG

Gründungsjahr: 1914 (Russland), 1932 (Deutschland)

Branche: Spirituosenindustrie

Unternehmenssitz: Berlin

Umsatz 2013: 50 Mio. EUR

Mitarbeiterzahl: 40

 

Zu den Personen

Patrick Mier (l.) leitet den Spirituosenhersteller Schilkin in der vierten Generation. Dass unternehmerisches Blut in ihm fließt, merkte er bereits mit 16 Jahren. Kein Wunder, bei der Familie. Sein Urgroßvater Apollon Fjodorowitsch Schilkin hatte es zum Hoflieferanten für den russischen Zaren geschafft, floh aber 1921 vor den Bolschewisten nach Berlin. Sohn Sergei schaffte es, die Schnapsbrennerei trotz DDR-Repressalien zu einer der größten der DDR aufzubauen. Nach der Wende wurde Schwiegersohn Peter Mier (r.) auf das Unternehmen aufmerksam. Er beendete seine Karriere im Westen zugunsten des Familienunternehmens. Und er überzeugte Sohn Patrick, bei ihm einzusteigen. Die Unabhängigkeit eines Familienunternehmens wollen sie bewahren. Und den Zarenwodka weiterhin ausliefern. www.schilkin.de 

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