Zwischen Wert und Werten

Die Affäre Khashoggi um einen ermordeten saudischen Regimekritiker zeigt: Das Thema Compliance ist aktuell wie nie. Menschenrechte, Korruption und Arbeitsbedingungen in Drittländern finden heute im Mittelstand mehr Beachtung. Dabei wird klar: Nicht jedes Unternehmen kann alle Faktoren beeinflussen.

Wo „alternativlos“ noch alternativlos ist

Stefan Simon weiß, was den Mittelstand bei solchen Fragen umtreibt. Er ist Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht. Seine Kanzlei Spitzweg Partnerschaft hat sich früh auf Compliance-Fragen spezialisiert. Simon sagt, Politik und Fälle wie der um Khashoggi würden natürlich im Mandantenkreis diskutiert. „In der unternehmerischen Realität spielen sie allerdings selten eine Rolle.“ Compliance werde für den Mittelstand oft erst aktuell, wenn er gezwungen sei, sich damit auseinanderzusetzen. Die große Frage sei stets: „Wie weit kann ich es mir als Unternehmer leisten, darauf Rücksicht zu nehmen?“ Gefährde er damit das Unternehmen, seinen Erfolg, die Arbeitsplätze und all die anderen Menschen, für die er hierzulande Verantwortung trage? „Viele Unternehmer haben noch keine Idee, wie sie humanitäres Völkerrecht und wirtschaftliche Tätigkeit miteinander in Verbindung bringen können und sollen.“

Der Exporttag Bayern im November: Vorfühlen, was die neuen Entwicklungen bedeuten." © Maximilian Gerl
Der Exporttag Bayern im November: Vorfühlen, was die neuen Entwicklungen bedeuten.” © Maximilian Gerl

Auf dem Exporttag läuft derweil alles nach einem festen Plan. Die Beratungstermine sind im Voraus vereinbart, wie gewohnt herrscht viel Interesse an China und den USA. Aber auch die Experten für den Iran und Saudi-Arabien haben diesmal mehr zu tun. Offenbar wollen viele Firmen vorfühlen, was die neuen Entwicklungen für sie bedeuten. Unternehmer und Berater machen sich während der Gespräche Notizen. Gehen sie in den nächsten Termin, schlagen sie eine neue Seite im Block auf. Vielleicht ist ja das größte Problem an der Sache, dass man alles drehen und wenden kann. Compliance bleibt schwer greifbar. Es wird immer Graubereiche geben. Compliance ist ein soziales Konstrukt – wie alle Werte kann es seine Bedeutung ändern, je nach Zeit, Ort und Kontext. Was in einem Teil der Erde völlig in Ordnung geht, ist in einem anderen verpönt oder sogar verboten. Auch deshalb ist nicht automatisch legitim, was legal ist. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel 2010 mehrere ihrer Entscheidungen als „alternativlos“ begründete, hagelte es Kritik. Der Begriff wurde sogar zum Unwort des Jahres gewählt, mit der Begründung, er suggeriere, dass keine Notwendigkeit einer Debatte bestehe. Seitdem ist das Wort „alternativlos“ in der Politik verpönt. Doch in Wirtschaft und Finanzindustrie lebt es weiter. Immer noch dient es zur Beschreibung von Entscheidungen, die betriebswirtschaftlich Sinn machen, aber gesellschaftlich geächtet sind. Unpopuläre Entscheidungen dürfen zwar weiter getroffen werden. Dabei darf man es sich allerdings nicht zu leicht machen. Vielmehr muss man sich den Debatten stellen, statt betriebswirtschaftliche Zahlen vorzuschicken. Das alles bedeutet, Position zu beziehen, Glaubwürdigkeit zu erhalten. Auch wenn das wehtut oder anstrengend ist.

Würth und Nomos Glashütte zeigen klare Kante

Tendenziell scheinen Familienunternehmer oder Inhaber leichter zu einer Haltung zu finden. Vielleicht, weil sie nicht so sehr auf Zahlen schauen müssen, vielleicht, weil sie so erzogen wurden, dass ihre Verantwortung nicht am Firmentor endet. Ein Beispiel: Reinhold Würth, Senior-Chef des gleichnamigen Schraubenhändlers aus Künzelsau. Offiziell hat er sich aus dem Geschäft zurückgezogen und steht dem Stiftungsaufsichtsrat vor, der über das Familienerbe wacht. Inoffiziell hat sein Wort weiter Gewicht. Nachdem in den USA Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde, sorgte Würth dafür, dass die Firma dort nicht noch mehr investiert. Auf Nachfragen zeigte er damals klare Kante: „Ich habe gesagt, wir warten ab, ob Präsident Trump in vier Jahren wiedergewählt wird. Würth kehrt zurück, wenn er geht.“ Ein anderes Beispiel hierzulande ist Judith Borowski von der sächsischen Nomos Glashütte, einem Uhrenfabrikanten. Bei der letzten Bundestagswahl hatten 35,5 Prozent der Wähler im Wahlkreis des Unternehmens für die AfD gestimmt. Borowski stellte daraufhin klar, dass sie die Partei für fremdenfeindlich halte. „Wir wollen dieses Klima von Rassismus und Intoleranz nicht in unserem Unternehmen haben“, sagte sie dem Magazin Der Spiegel.

Ethik und Moral

Würth und die Nomos Glashütte sind Ausnahmefälle und werden es wahrscheinlich bleiben. Das Schwierige an gesellschaftlichen Haltungen ist, dass man sie schwer beeinflussen kann, schon gar nicht als einzelner Mittelständler unter vielen. Anders sieht es da bei den eigenen Produktionsbedingungen aus. Hier ist der eigene Einfluss naturgemäß größer, sind die Ansprüche in und gegenüber Unternehmen entsprechend höher. Einige haben die Notwendigkeit universaler Standards früh erkannt – so Claus Hipp, der den gleichnamigen Babynahrungshersteller aus Pfaffenhofen aufbaute. Der Katholik leitete sein Handeln stets aus seinem Glauben ab. In einem Interview sagte er mal, er führe seine Firma nach den Zehn Geboten der Bibel, mehr brauche es im Grunde nicht. Und dass die Wirtschaft kein Spiel sei, „wir haben ja auch noch ein Gewissen und Selbstachtung“. Schon 1999 führte er eine Ethik-Charta in seinem Unternehmen ein.

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