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Kapital für Freigeister

Liebe Leser, in der Weihnachtszeit und an den Feiertagen danach bis zum 7. Januar stellen wir Ihnen unsere Höhepunkte aus dem vergangenen Jahr vor. In zehn Teilen lesen Sie unser persönliches Best-of an Porträts, Interviews und Features aus dem Redaktionsjahr 2017. Wir hoffen, dass Sie die ein oder andere Geschichte auch nochmal gerne lesen oder neu entdecken.

Das Team der Unternehmeredition wünscht Ihnen besinnliche Feiertage und einen guten Start ins Jahr 2018.

 

Wenn sich etablierte Unternehmen an Start-ups beteiligen, eröffnen sich beiden Seiten neue Perspektiven. Noch aber stehen häufig Zurückhaltung und die Scheu vor Risiken dem Corporate Venturing im Weg.

Zur Zukunft der Hamburger Verlagsgruppe Oetinger, die unter anderem Pippi Langstrumpf und Die Tribute von Panem in Deutschland populär gemacht hat, gehört Storydocks. Das Familienunternehmen, das in dritter Generation von Till Weitendorf geführt wird, beschäftigt sich mit den Chancen des digitalen Zeitalters. Storydocks soll Start-ups aufbauen oder sich an ihnen beteiligen. Das Tochterunternehmen dient als Innovationslabor für das Traditionsuntenehmen, in der Fachwelt nennt man so was einen Hub. Für Michael Adam, neben Weitendorf Co-Geschäftsführer von Oetinger, ist die Investition in die Ideenschmiede richtungsweisend: „Das Medienerlebnis wird sich in Zukunft über E-Books hinaus weiter verändern, und wer diese Chancen nutzen will, braucht auch ein von den klassischen Branchenregeln und Konzernstrukturen befreites Denken“, sagt er.

Viel Interesse, aber wenig Investition

Auch bei etablierten Unternehmen anderer Branchen nimmt die Neugierde auf die Gründerszene zu. „Im Mittelstand wächst die Erkenntnis und die Aufmerksamkeit dafür, dass Start-ups über besonderes Know-how verfügen“, sagt Dr. Carsten Rudolph, Geschäftsführer des Finanzierungsnetzwerks Baystartup. Dabei kann es um Technologien ebenso gehen wie um das Entdecken neuer Geschäftsfelder oder -modelle. Die Umsetzung ist allerdings schwierig. „Mit Blick auf mögliche Formen der Zusammenarbeit herrscht noch große Unsicherheit“, sagt Professorin Dr. Nadine Kammerlander, Leiterin des Instituts für Familienunternehmen an der WHU in Vallendar. Für einen kapitalkräftigen Weltkonzern wie Google etwa sei es kein Problem, mit breit gefächerten Investitionen in ein Gründerportfolio Zukunftsmärkte zu besetzen. „Ein deutscher Mittelständler dagegen kann nur begrenzt investieren und muss wegen des hohen Ausfallrisikos genau darauf achten, welchen Nutzen ihm ein solches Engagement bringt“, sagt Kammerlander. Viele Firmen würden deshalb statt eines Investments erst einmal eine Kooperation anstreben.

Die Kunden von morgen binden

Einer Studie des RKW-Kompetenzzentrums zufolge hat ein Drittel von 200 befragten Unternehmen zwar schon intensiv mit Start-ups zusammengearbeitet. Lediglich 14 Prozent haben dagegen investiert. Dass es anders geht, machen Oetinger und andere Mittelständler gerade vor. „Wir investieren neben unseren eigenen Projekten in externe Start-ups, die Technologien vorantreiben, die wir nicht selbst entwickeln können“, sagt Geschäftsführer Adam von Storydocks. Die neuen Technologiebausteine könne der Verlag dann erwerben und bei sich integrieren. Für eine Beteiligung werden bei Storydocks im Durchschnitt circa 250.000 Euro investiert. Bis die Unternehmen eine nachhaltig starke Position im Markt erreicht haben, sind es rund zwei Mio. Euro. Bei der Mittelvergabe sind oft auch andere strategische Investoren an Bord. Bislang hat Storydocks fünf Firmen gegründet und sich an drei Start-ups beteiligt, auch bei ausländischen Unternehmen wie etwa der schwedischen Filmindus. Diese verfügt über das digitale Know-how, Spiele für Kinder auf Basis bekannter Geschichten zu entwickeln. Oetinger wiederum hat Beziehungen zu vielen Verlagen, die solche Geschichten auf Basis von Lizenzvereinbarungen bereitstellen können.

Wenn sich etablierte Unternehmen an Start-ups beteiligen, eröffnen sich beiden Seiten neue Perspektiven. Noch aber stehen häufig Zurückhaltung und die Scheu vor Risiken dem Corporate Venturing im Weg.

Innovationssprünge antizipieren

Der Elektrogerätehersteller Miele setzt ebenfalls auf Start-ups. Über die Tochter Miele Venture Capital will Miele systematisch interessante Kandidaten identifizieren und deren Geschäftsideen mit Kapital füttern. „Start-ups sind eine wichtige Quelle für Ideen und Kreativität out oft the box“, sagt Dr. Christian Kluge, Leiter Zentralbereich Controlling der Miele-Gruppe. Gerade finanzstarke Unternehmen mit traditionellen Kernkompetenzen können die Start-ups nutzen, um Innovationen schneller zu erkennen und bei disruptiven Veränderungen vorne mit dabei zu sein. Dafür suchen sie als Jungunternehmer engagierte und gut eingespielte Teams.

Smartline von Miele: Das Unternehmen investiert in innovative Produkte und seit Neuestem in Start-ups.

„Die Geschäftsidee sollte einen gewissen Reifegrad erreicht haben, sodass sich bereits auf ersten Kontakten mit potenziellen Kunden, anderen Investoren oder Fürsprechern aufbauen lässt“, konstatiert Kluge. Neben gemeinsamen Entwicklungsprojekten bietet Miele den Start-ups Unterstützung bei der internen Organisation an oder vermittelt Managementkompetenzen. Auch beim Marktzugang greift Miele gerne unter die Arme oder wird selbst Kunde des Unternehmens. Bei einer Kapitalbeteiligung übernimmt der Konzern prinzipiell Minderheitsanteile, ohne dabei das Ruder übernehmen zu wollen: „Ein Herauskaufen des oder der Gründer ist nicht in unserem Interesse“, sagt Kluge. Es gehe vielmehr darum, gute Ideen gemeinsam zur Reife zu bringen.

Start-ups sollen autonom bleiben

An Herausforderungen mangelt es nicht. Das gilt insbesondere auch für die Automobilindustrie, in der Lösungen für künstliche Intelligenz und autonomes Fahren voraussichtlich wichtige Technologien sein werden. Der Autozulieferer ZF Friedrichshafen reagiert darauf mit Investitionen in Start-ups Die konzerneigene Beteiligungsgesellschaft Zukunft Ventures soll den Zugang zu wettbewerbsrelevanten Innovationen erleichtern. „Wir analysieren die Start-up-Szene und identifizieren jene, die weiße Flecken in unserem Technologieportfolio schließen können“, sagt Torsten Gollewski, Geschäftsführer von Zukunft Ventures. Wie Miele investiert ZF Friedrichshafen in Minderheitsbeteiligungen, um den Start-ups bewusst ihre Flexibilität und Autonomie zu lassen. Zukunft Ventures sieht sich Ideen weltweit an, egal ob sie in Deutschland, in den USA oder in Asien entstehen.

Enge Kontakte zu Hochschulen

Im Vergleich zu großen Konzernen fehlen den Führungskräften im Mittelstand die Kapazitäten, um regelmäßig Start-up-Veranstaltungen zu besuchen. Hilfreich ist es da, die Unterstützung von Dienstleistern zu nutzen oder geeignete Mitarbeiter für das Scouting abzustellen. „Dabei sollte schon im Vorfeld möglichst konkret geklärt sein, was man eigentlich sucht. Ebenso fragen wir die Start-ups, was sie dem Mittelstand bieten können“, sagt Baystartup-Manager Rudolph. Eine weitere Aufgabe seines Netzwerks sieht er darin, beiden Seiten die jeweiligen Erwartungen des anderen zu erklären. Systematische Vorbereitung lohnt sich.

Wenn sich etablierte Unternehmen an Start-ups beteiligen, eröffnen sich beiden Seiten neue Perspektiven. Noch aber stehen häufig Zurückhaltung und die Scheu vor Risiken dem Corporate Venturing im Weg.

Bei der Nürnberger Diehl Gruppe, als weltweit agierender und familiengeführter Technologiekonzern, hat die Tochter Diehl Ventures zehn Suchfeldkategorien erarbeitet. Diehl Ventures ist eng in die Organisation der Mutter integriert und verfügt über direkte Anbindung an den Vorstand um Dr. Thomas Diehl. „Wir haben ein strategisches Interesse und wollen Start-ups auf ihrem langen Weg bei der Entwicklung neuer Technologien und Geschäftsmodelle begleiten“, betont Dr. Mathias Glasmacher, Geschäftsführer der Diehl Ventures. Beim Scouting ist es hilfreich, dass die Abteilung Zentrale Technologie des Konzerns seit Jahren enge Kontakte zu Hochschulen pflegt und die Mitarbeiter der Ventures-Tochter auf Empfehlung ein Investment in der Frühphase in Betracht ziehen. Bei Diehl Ventures gilt ebenfalls das Credo, kleine Beteiligungen einzugehen:„Wir wollen nichts überstülpen, was zur Lähmung eines agilen Start-ups führen könnte“, sagt Glasmacher.

Diehl Gruppe: Die Tochter Diehl Ventures erarbeitete zehn Suchfeldkategorien.

Eigene Entwicklung beschleunigen

Junge Firmen können ihrerseits durch den Austausch mit etablierten Unternehmen ihre Entwicklung beschleunigen. „Wir können den Start-ups helfen, Fehler zu vermeiden und bewusst bestimmte Dinge zu machen“, betont Glasmacher. Konkret kann das bedeuten, dass der Konzern gemeinsam mit dem Newcomer in den Markt geht und Kunden akquiriert, Entwicklungsaufträge annimmt oder selbst Produktionsdienstleistungen bereitstellt. Start-ups stoßen bei potentiellen Kunden allzu häufig auf Skepsis, weil die Vorteile ihres Angebots nicht erkannt oder sie als Newcomer noch keine Erfolge vorzuweisen haben. Für WHU-Professorin Kammerlander können gerade hierbei durch die Kooperationen Defizite ausgeglichen werden: „Der Mittelstand kennt die Bedürfnisse seiner Kunden, verfügt über gewachsene Netzwerke und hat Erfahrung mit Marketingstrategien.“ Allerdings drohten auch Fallstricke bei der Zusammenarbeit. So kann es vorkommen, dass ein Gründer seine Ideen beziehungsweise Fähigkeiten in einer neuen, durchstrukturierten Umgebung nicht entfalten kann. „Die Unternehmenskulturen passen oft nicht zusammen, und damit stellt sich die Frage, welcher Freiraum dem Start-up innerhalb der Gesamtorganisation eingeräumt wird“, verweist Kammerlander auf Forschungsergebnisse. Diese würden nahelegen, dass eine gewisse Autonomie und die räumliche Trennung der Venture-Firmen vom Unternehmen sinnvoll sind.

Tipps allein reichen nicht

Auch Unterschiede in der Denkweise können die Zusammenarbeit hemmen. „Ein Start-up denkt in Tagen, ein etabliertes Unternehmen in Monaten“, stellt Dienstleister Rudolph fest. Das betrifft häufig auch die monetäre Seite. Ein Start-up ist oft nur für ein oder zwei Jahre finanziert, kleine Summen können da existenziell sein. „Größere Unternehmen können sich oft gar nicht vorstellen, dass ein erster Umsatz von 20.000 Euro für das Start-up enorm wichtig sein kann“, sagt Rudolph. Deshalb können viele Missverständnisse auftreten. Tipps alleine reichen da nicht.

 

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