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Auf der Suche nach neuen Wegen

Viele deutsche Mittelständler und Familienunternehmen scheuen immer noch den Gang an den Kapitalmarkt. Das überrascht nicht, denn sie müssen dabei so manche Hürde nehmen. Nun soll das neue Börsensegment “Scale” für Aktien und Anleihen Abhilfe schaffen. Die Frage ist aber, ob das gelingen kann.

Am Montag, 27. März 2017, herrscht Spannung bei der Ibu-Tec Advanced Materials AG in Weimar. An diesem sonnigen Frühlingstag endet die Zeichnungsfrist für mehr als eine Mio. Aktien, die der Industrie-Dienstleister über ein öffentliches Angebot im neuen Segment der Deutschen Börse mit Namen „Scale“ platzieren will. Was die Sache umso spannender macht: Ibu-Tec ist die erste Neuemission in dem Mittelstandssegment, das Anfang März ins Leben gerufen wurde. Um 16:26 Uhr sieht es gut aus. Auf der elektronischen Plattform Tradegate liegt die aktuelle Handelsspanne vorbörslich zwischen 18,39 Euro und 18,399 Euro. Damit ist Ibu-Tec-Vorstand Ulrich Weitz durchaus zufrieden. „Wir hatten eine Preisspanne von 16 Euro bis 20 Euro festgelegt“, berichtet er.

Weitz hat das Unternehmen, das 1885 als Steinmetzbetrieb begonnen hatte, im Jahr 2001 übernommen. Er entwickelt die Firma stetig weiter, 2008 wird sie zur Aktiengesellschaft. Heute verarbeitet und veredelt der Weimarer Mittelständler mit thermischen Verfahren Pulver und Granulate, die weltweit etwa in der Automobil- und der Baustoffindustrie oder in der Medizintechnik eingesetzt werden. 2016 schreibt Ibu-Tec einen Umsatz von 17,7 Mio. Euro und zählt 150 Mitarbeiter – und es sollen mehr werden.

„In den vergangenen 16 Jahren haben wir am Standort Weimar insgesamt rund 30 Mio. Euro investiert“, sagt Vorstand Weitz. Jetzt soll ein neuer Standort in einem Chemie-Gebiet entstehen. Um den Wachstumsschritt zu finanzieren, hat Ibu-Tec den Gang aus Parkett gewählt. „Wenn man im Jahr drei oder vier Mio. Euro investiert, kann man das mit Eigenkapital und über Bankkredite schaffen“, sagt Weitz. Nun benötigt sein Unternehmen eine viel größere Summe.

Analysten im Haus

Die Vorbereitung des Börsengangs war kein Pappenstiel. „Zunächst hat uns die Deutsche Börse Analysten ins Haus geschickt“, erzählt er. Die prüften, ob Ibu-Tech die Qualitätskriterien für eine Aufnahme in das neue Mittelstandssegment Scale auch erfüllte. Dann folgte eine Due Diligence, der Wertpapierprospekt musste erstellt werden, später ging es auf Roadshow. All das kostete Zeit und Geld. „Aber nachdem wir so lange selbst investiert haben, ist es jetzt an der Zeit, auch andere dazu einzuladen“, findet Weitz. „Und es ist schon toll, dass wir als kleinerer Mittelständler die Ersten in einem ganz neuen Segment sind“, sagt er.


“Nachdem wir so lange selbst investiert haben, ist es jetzt an der Zeit, auch andere dazu einzuladen.”

Ulrich Weitz, Vorstand von Ibu-Tec


Mit ihrem Börsengang gehört die Ibu-Tec Advanced Materials AG zu den wenigen deutschen Unternehmen, die sich derzeit „auf das Parkett“ wagen. Der hiesige Markt für Neueinführungen, auch Initial Public Offering oder kurz IPO genannt, schwächelt enorm. Zählten die Börsen in Deutschland 2015 immerhin noch 15 Erstemissionen, so waren in den darauffolgenden zwölf Monaten lediglich fünf Neuzugänge zu verzeichnen. 2017 dürfte es nicht viel besser aussehen.

Viele deutsche Mittelständler und Familienunternehmen scheuen immer noch den Gang an den Kapitalmarkt. Das überrascht nicht, denn sie müssen dabei so manche Hürde nehmen. Nun soll das neue Börsensegment “Scale” für Aktien und Anleihen Abhilfe schaffen. Die Frage ist aber, ob das gelingen kann.

Die Gründe dafür, dass gerade Mittelständler hierzulande einen Börsengang scheuen, sind vielfältig: Strengere Regulierungsvorschriften machen IPOs teuer und bringen für börsennotierte Unternehmen immer weitere Pflichten mit sich. Deutsche Privatanleger setzen trotz des dauerhaften Niedrigzinsniveaus gern auf sicher verzinste Geldanlagen, zudem benachteiligt der Fiskus Dividenden im Vergleich zu Zinserträgen. Banken bieten günstige Kredite. Private-Equity-Gesellschaften und Family Offices unter Anlagedruck kommen Mittelständlern mit Eigenkapital entgegen und bleiben deutlich länger investiert.

Zweifel an Scale

Nun will die Deutsche Börse in Frankfurt mit dem neu geschaffenen Segment Scale kleinen und mittleren Unternehmen den Weg zum IPO ebnen. Während manche Zweifler bereits die Wiedergeburt des Neuen Marktes ausrufen, bemängeln andere Kritiker die hohen Qualitätskriterien, die Mittelständler für eine Aufnahme in das junge Börsensegment erfüllen müssen. Auch den Markt der in Verruf geratenen Mittelstandsanleihen soll Scale neu beleben. Experten sind sich allerdings nicht sicher, ob dies gelingen kann.

„2016 war grundsätzlich kein gutes Jahr für IPOs“, sagt Uwe Nespethal von der Beratungsgesellschaft Blättchen Financial Advisory in Leonberg. Die Entwicklungen in China schickten die Börsen zu Jahresbeginn weltweit auf Talfahrt, der Brexit und die US-Wahlen sorgten für massive Unsicherheiten. „Man muss aber auch sehen, dass sich der nationale Markt für Börsengänge eigentlich immer dann gut entwickelt, wenn die Konjunktur eines Landes im Aufschwung ist“, erklärt der Experte. Daher sei es auf den ersten Blick unverständlich, dass die Zahl der Neuemissionen in Deutschland stark rückläufig ist. Für diese extreme Zurückhaltung müsse es strukturelle Gründe geben, erklärt der Experte.

Eine wichtige Ursache erkennt er im Anlegerschutz, den der europäische Gesetzgeber seit dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 immer weiter verschärft hat. „Es fängt ja schon mit dem Produktinformationsblatt an, das Banken ihren Kunden aushändigen müssen, wenn sie diese über ein Anlageprodukt beraten“, sagt Nespethal. Um das zweiseitige Infoblatt, kurz PIB genannt, zu erstellen, müssen die Institute beim Emittenten alle notwenigen Informationen einholen, diese auf Plausibilität prüfen, Vertriebskosten einfließen lassen, eine Risikoklasse ermitteln und vieles mehr.

Viele deutsche Mittelständler und Familienunternehmen scheuen immer noch den Gang an den Kapitalmarkt. Das überrascht nicht, denn sie müssen dabei so manche Hürde nehmen. Nun soll das neue Börsensegment “Scale” für Aktien und Anleihen Abhilfe schaffen. Die Frage ist aber, ob das gelingen kann.

Ungerechte Besteuerung

„Das ist ein enormer Aufwand, der sich nur für Banken mit viel Wertpapiergeschäft lohnt“, erklärt Franz-Josef Leven, stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Aktieninstituts in Frankfurt. Kleinere Kreditinstitute bieten im Aktiengeschäft oft keine Beratung mehr an.

Damit fehlen jedoch viele Privatanleger, die ohne Beratung oft keine Aktien kaufen. Daher müssen Unternehmen, die ein IPO wagen möchten, bei ihren Roadshows häufig wenige interessierte, institutionelle Investoren ansprechen. Und die diktieren dann schnell den Ausgabepreis. Darüber hinaus verlangen sie Liquidität am Markt. Doch um diese zu bieten, ist eine gewisse Größe der Aktienemission notwendig. Damit ist vielen Mittelständlern der Gang aufs Parkett verstellt. „Und letztendlich sind die Kosten für ein IPO mit fünf bis zehn Prozent des Emissionsvolumens auch nicht gerade gering“, gibt Nespethal zu bedenken.


“Die Kosten für ein IPO mit fünf bis zehn Prozent des Emissionsvolumens sind nicht gerade gering.”

Uwe Nespethal, Partner Blättchen Financial Advisory


Er sieht allerdings noch weitere Gründe dafür, dass sich deutsche Mittelständler und Familienunternehmen bei Börsengängen in Zurückhaltung üben. „Das Leben in der Nicht-Public-Welt ist natürlich deutlich bequemer“, erklärt er. Denn: Wer einmal börsennotiert ist, muss strengen Publizitätspflichten nachkommen, die Vorstandsvergütung offenlegen, Nachhaltigkeitsberichte veröffentlichen und dergleichen mehr. „Seit die Marktmissbrauchsverordnung am 3. Juli 2016 in Kraft getreten ist, müssen sogar Unternehmen, deren Papiere im Freiverkehr notiert sind, bei Ereignissen, die den Kurs beeinflussen können, Ad-hoc-Meldungen herausgeben“, sagt Franz-Josef Leven vom deutschen Aktieninstitut. Noch eine Pflicht, die der Gesetzgeber im Sinne des Anlegerschutzes ersonnen hat.

Keine Lobby

„Meine These ist, dass sich mehr Unternehmen aufs Parkett trauen würden, wenn man die Regulierungsvorschriften entschlacken würde“, vermutet Uwe Nespethal. Doch um eine Deregulierung anzustoßen, fehle ganz einfach die Lobby. „Niemand traut sich, eine Lockerung der Vorschriften zu fordern, weil man damit natürlich verlangen würde, den Anlegerschutz auszuhöhlen“, sagt er. In den USA habe der sogenannte Jobs Act, mit dem der ehemalige Präsident Barack Obama 2012 für Unternehmen regulatorische Erleichterungen schuf und Berichtspflichten abbaute, allerdings Wirkung gezeigt. „Zwischen 2001 und 2011 gab es in den USA durchschnittlich 120 bis 150 Börsengänge pro Jahr“, sagt Nespethal. Seit 2012 sind es jährlich im Schnitt über 200.

In der Europäischen Union hingegen dürfen Unternehmen nicht mit Erleichterungen rechnen. Hier schickt sich der Gesetzgeber in Brüssel mit der neuen Finanzmarktrichtlinie Mifid II stattdessen an, die regulatorischen Vorschriften weiter zu verschärfen. Da trifft es sich gut, dass Private-Equity-Gesellschaften und Family Offices den deutschen Mittelstand geradezu umwerben. Aufgrund des Niedrigzinsumfelds suchen sie nach guten Anlagezielen. Private-Equity-Häuser bleiben mittlerweile deutlich länger investiert als noch vor einigen Jahren.

Viele deutsche Mittelständler und Familienunternehmen scheuen immer noch den Gang an den Kapitalmarkt. Das überrascht nicht, denn sie müssen dabei so manche Hürde nehmen. Nun soll das neue Börsensegment “Scale” für Aktien und Anleihen Abhilfe schaffen. Die Frage ist aber, ob das gelingen kann.

Hans-Werner Grunow, Geschäftsführer der auf Unternehmensfinanzierung spezialisierten Beratungsgesellschaft Capmarcon in Stuttgart, sieht die Sache gar nicht so kritisch. „Wenn man sich die Emissionszahlen der Bundesbank anschaut, so stellt man fest, dass noch nicht börsennotierte Unternehmen aktiver sind als solche, die bereits an der Börse sind“, sagt der Experte. So schlecht könne der Markt in Deutschland also gar nicht sein. „Das Problem ist aber, dass man es erst einmal schaffen muss, eine gute Unternehmensgeschichte aufzubauen und zu kommunizieren“, erklärt Grunow. Gerade Mittelständlern müsste es erst einmal gelingen, echtes Interesse bei Investoren zu wecken.

Bohranlage von Aldrup: Sie dringt in Tiefen von bis zu 4.500 Metern vor.

Josef Daldrup, Vorstandschef der Daldrup & Söhne AG mit Sitz in Grünwald bei München, ist genau das bereits im Jahr 2007 gelungen. Und er hat es nie bereut, dass er sein Familienunternehmen an die Börse gebracht hat. „Für einen traditionellen Mittelständler war das damals zunächst einmal schon so eine Art Kulturschock“, erinnert sich der Firmenlenker. Doch vor zehn Jahren gab es einen regelrechten Hype um das Thema erneuerbare Energien. Um in diesem Markt mitspielen zu können, benötigte Daldrup als spezialisierter Anbieter von Bohrdienstleistungen und Kraftwerksprojekten in der Tiefengeothermie Kapital. „Wir wollten unter anderem unsere Tiefbauanlagen ausbauen und eine Geothermie-Firma übernehmen“, erinnert sich Daldrup, dessen Unternehmen zum Halbjahr 2016 mit 109 Mitarbeitern eine Gesamtleistung von 21 Mio. Euro erzielte. Um die Investitionen stemmen zu können, erschien ihm ein Börsengang als geeignetes Mittel.

Echte Umstellung

„Nach dem Börsengang mussten wir uns erst einmal daran gewöhnen, dass wir nun Berichts- und Transparenzpflichten zu erfüllen hatten“, weiß der Vorstandschef noch. Außerdem fragten auch größere Aktionäre bei Daldrup persönlich regelmäßig nach dem Gang der Geschäfte. Das sei eine Umstellung gewesen. „Ohne den Börsengang hätten wir aber niemals die Bedeutung, die Sichtbarkeit und das Vertrauen bekommen, wie wir es jetzt haben“, sagt Daldrup. Heute ginge auf seinem Geschäftsgebiet in ganz Europa keine Ausschreibung an dem Unternehmen mehr vorbei.

Im März 2017 hat die Daldrup & Söhne AG aus dem Entry Standard in das neue Mittelstandssegment der Deutschen Börse Scale gewechselt. „Scale mit seinen Qualitätskriterien passt zu uns“, sagt Daldrup. „Wir haben institutionelle Investoren, die einen gewissen Standard erwarten.“ Im kaum regulierten Basic Board zu verbleiben, sei keine Option gewesen. Dort landen immerhin auch die Unternehmen, die die strengen Zugangsvoraussetzungen für eine Aufnahme in Scale nicht erfüllen. Würde Daldrup anderen Mittelständlern heute einen Börsengang empfehlen? „Ein IPO ist natürlich aufwendig“, sagt er. Um schnell mal „Kasse zu machen“, sei er völlig ungeeignet. „Wenn man aber ein vernünftiges Geschäftsmodell hat und wachsen will, ist das durchaus ein guter Weg“, erklärt der Daldrup-Chef.

Viele deutsche Mittelständler und Familienunternehmen scheuen immer noch den Gang an den Kapitalmarkt. Das überrascht nicht, denn sie müssen dabei so manche Hürde nehmen. Nun soll das neue Börsensegment “Scale” für Aktien und Anleihen Abhilfe schaffen. Die Frage ist aber, ob das gelingen kann.

Vor allem an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mit einem vielversprechenden Geschäftsmodell, die wachsen wollen, richtet sich das neue Segment der Deutschen Börse Scale, das zum 1. März 2017 den Entry Standard abgelöst hat. Zum Teil abgelöst, denn längst nicht alle Firmen, deren Aktien oder Anleihen im Entry Standard notiert waren, hatten die Chance, in Scale zu wechseln. Dafür sind die Zugangsvoraussetzungen zu strikt. Unternehmen, die ihre Aktien in dem neuen KMU-Segment notieren lassen möchten, müssen etwa seit mindestens zwei Jahren bestehen, zum Handelsstart eine Marktkapitalisierung von mindestens 30 Mio. Euro aufweisen, einen von der Finanzmarktaufischt BaFin genehmigten Wertpapierprospekt haben. Und das sind nur einige Anforderungen.

Neu-Emittenten müssen sich beim Börsengang von sogenannten zugelassenen Capital Market Partners begleiten lassen. Etwa von Banken, Finanzdienstleistern, Wirtschaftsprüfern, Beratern oder Anwälten, an die ebenfalls gewisse Anforderungen gestellt werden. „Auch wer mit einer Anleihe in das neue Segment wechseln oder dort einen Bond begeben will, muss strenge Zulassungskriterien erfüllen“, sagt Alexander Thomas, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Pinsent Masons Germany LLP in München.

 

Lesen Sie am Montag den 2. Teil der Titelgeschichte über den Kapitalmarkt für Mittelständler.

 

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