Wirtschaftsprognosen: Konjunkturmotor stottert

Aktuelle Wirtschaftsprognosen
© Naypong Studio, adobe_stock

Das Wachstum der deutschen Wirtschaft geht weiter – das zeigen die aktuellen Wirtschaftsprognosen. Allerdings hat das Tempo des Wachstums abgenommen – die Forschungsinstitute korrigieren ihre Erwartungen nach unten. Wie die aktuelle IHS Markit-Umfrage ergab, dauern die Lieferkettenengpässe in der Industrie an, und auch im Servicesektor verlor der Aufschwung an Dynamik. Mit diesen gemischten Nachrichten beginnen wir die Übersicht über aktuelle Wirtschaftsprognosen.

Der IHS Markit Flash Deutschland Composite Index Produktion sank nach 60,0 Punkten im August auf 55,3. Dennoch ist die Stimmung insgesamt immer noch gut, denn der Index-Durchschnitt im dritten Quartal 2021 liegt auf einem hohen Wert. „Laut unserem September-Flash hat sich das Wachstum der deutschen Wirtschaft spürbar verlangsamt – ein Zeichen dafür, dass die Geschäftstätigkeit nach dem starken Anstieg im Sommer allmählich nachlässt. Trotz der Verlangsamung im September scheint die Zuwachsrate im dritten Quartal 2021 jedoch immer noch über der Rate von 1,6% zu liegen, die in den drei Monaten bis Juni verzeichnet worden war. Die Umfrage deutet darauf hin, dass der Aufschwung im Verarbeitenden Gewerbe weiterhin gebremst wird und unter Lieferengpässen und steigenden Kosten leidet“, erklärt Phil Smith, Associate Director bei IHS Markit.

Aufschwung verliert an Fahrt

IfW KonjunkturprognoseDie deutsche Wirtschaft erholt sich weiter von der Coronakrise, verliert dabei aber zunächst an Fahrt. Das ist das wesentliche Ergebnis der aktuellen Konjunkturprognose des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW). Fortbestehende Vorsichtsmaßnahmen zum Infektionsschutz und Lieferengpässe bei Vorprodukten erweisen sich als hartnäckiger und gravierender als erwartet und verschieben den Schlussspurt in das kommende Jahr. „Der Aufholprozess bleibt intakt, bekommt aber über das Winterhalbjahr eine Delle“, sagte IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths. Mit der zunächst schwächeren Erholung dürfte die deutsche Wirtschaft ihr Vorkrisenniveau nach IfW-Einschätzung erst im ersten Quartal 2022 erreichen und damit ein halbes Jahr später, als noch in der Sommerprognose erwartet. Materialmangel und Lieferengpässe verhindern eine bessere Entwicklung. „Die Lücke zwischen Auftragseingängen und Industrieproduktion klafft immer weiter auseinander und nimmt gegenwärtig vor allem aufgrund fehlender Vorprodukte historisch nicht gekannte Dimensionen an. Allein vor den Häfen von Los Angeles und Ningbo-Zhoushan sind derzeit 6% der weltweiten Frachtkapazitäten durch Staus gebunden. Das ist schlecht für die deutsche Wirtschaftsleistung und treibt die Preise“, sagte IfW-Präsident Gabriel Felbermayr.

ifo: Wachstum kommt – aber später

Die deutsche Wirtschaft erholt sich zunehmend von der Coronakrise. Im zweiten Quartal legte die Wirtschaftsleistung in Deutschland um 1,6% zu und konnte damit einen Großteil des Konjunktureinbruchs zu Jahresbeginn wettmachen. Das Tempo der wirtschaftlichen Erholung nimmt allerdings ab. Das ist das wesentliche Ergebnis der aktuellen Konjunkturprognose des Münchener ifo-instituts. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte in diesem Jahr nach Einschätzung der Experten um 2,5% zulegen – wobei dieser Wert um fast 1% unter der früheren Prognose liegt. Zugleich wurde die Wachstumserwartung für 2022 auf 5,1% angehoben. „Die ursprünglich für den Sommer erwartete kräftige Erholung nach Corona verschiebt sich weiter“, sagt ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.   Im Verarbeitenden Gewerbe sei die Wertschöpfung im zweiten Quartal um 1,3% gesunken, nachdem sie bereits zu Jahresbeginn um 0,8% zurückgegangen ist. Und dies geschieht nach ifo-Angaben, obwohl die Auftragseingänge beinahe ununterbrochen gestiegen sind. Lieferengpässe bei wichtigen industriellen Vorprodukten stünden einer Ausweitung der Produktion im Wege. Nach der jüngsten ifo Konjunkturumfrage vom August beträgt der Anteil der Unternehmen, deren Produktion durch Lieferengpässe behindert wird, nunmehr fast 70%. „Derzeit schrumpft die Produktion der Industrie als Folge von Lieferengpässen bei wichtigen Vorprodukten. Gleichzeitig erholen sich die Dienstleister kräftig von der Coronakrise. Die Konjunktur ist gespalten“, sagt Wollmershäuser.

Weiter wenige Insolvenzen

Laut dem Statis­ti­schen Bundes­amt (Desta­tis) sind im ersten Halbjahr 2021 17,7% weni­ger Insolvenzen angemeldet worden als im glei­chen Zeit­raum 2020 und sogar 22,9% weni­ger als im ersten Halb­jahr 2019. Eine Insol­venz­wel­le aufgrund der Coronapandemie ist also nicht nur ausgeblieben, die Zahlen sinken sogar immer weiter. Stark ange­stie­gen sind im gleichen Zeitraum allerdings die voraus­sicht­li­chen Forde­run­gen der Gläu­bi­ger. Hatten diese im Vorjah­res­zeit­raum noch bei 16,7 Mrd. EUR gele­gen, so warten Gläu­bi­ger in diesem Jahr bereits auf fast 32 Mrd. EUR. Desta­tis führt dies darauf zurück, dass im ersten Halb­jahr 2021 mehr wirt­schaft­lich bedeu­ten­de Unter­neh­men Insol­venz bean­tragt hatten. „Die staatlichen Hilfsmaßnahmen zur Abmilderung der Pandemiefolgen beeinflussen nach wie vor die Entwicklung der Insolvenzzahlen. Die erkennbare Bereitschaft zu weiteren Unterstützungsmaßnahmen – auch in einer neuen Regierung – wird diesen Trend bis in das Jahr 2022 nicht grundsätzlich verändern“, erläutert Dr. Christoph Niering, Insolvenzverwalter und Vorsitzender des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID).

Zahlungsfristen werden verlängert

Unternehmen in Deutschland vertrauen wieder mehr auf die Zahlungsfähigkeit ihrer Kunden. In den vergangenen zwölf Monaten berichteten nur noch 59% von Zahlungsverzögerungen und damit fast zehn Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Das sind Erkenntnisse aus der jährlichen Befragung des Kreditversicherers Coface zu Zahlungserfahrungen deutscher Unternehmen. Fast drei Viertel der über 800 befragten Unternehmen hätten ihren Kunden im letzten Jahr ein Zahlungsziel eingeräumt. Zum selben Zeitpunkt des Vorjahres waren es nur 62%. „Deutsche Firmen haben sich offenbar an das Pandemieumfeld gewöhnt, dennoch bleiben sie wachsam und sind nach wie vor bestrebt, so früh wie möglich Kasse zu machen“, sagt Coface-Volkswirtin Christiane von Berg. Diese Wachsamkeit sei auch in den aktuell kurzen Zahlungsfristen erkennbar. 88% der Unternehmen forderten ihr Geld im Jahr 2021 innerhalb von 60 Tagen. Die durchschnittliche Lieferantenkreditlaufzeit verringerte sich geringfügig um etwa einen Tag: von 34 Tagen im Jahr 2020 auf 33 Tage im Jahr 2021.

Maschinenbau rechnet mit Wachstum

Die Auftragsbücher im Maschinen- und Anlagenbau haben sich gut gefüllt, zugleich kämpfen viele Unternehmen mit zunehmenden Material- und Lieferengpässen. In einer aktuellen Mitteilung bekräftigen die Volkswirte beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V. (VDMA) ihre Produktionsprognose von plus 10% für das laufende Jahr. Für 2022 rechnen sie mit einem Produktionsplus von 5%. In den ersten sieben Monaten des laufenden Jahres verzeichnete der Maschinen- und Anlagenbau ein reales Produktionsplus von 7,1 Prozent zum Vorjahr. Noch kräftiger legten die Auftragseingänge von Januar bis einschließlich Juli zu, sie stiegen um 30 Prozent zum Vorjahr. Problematisch für die Betriebe sind gleichzeitig die zunehmenden Material- und Lieferengpässe. “Laut unserer aktuellen VDMA-Blitzumfrage von Anfang September haben inzwischen 81% der Maschinenbaufirmen merkliche oder gravierende Beeinträchtigungen in ihren Lieferketten. Drastisch zugenommen haben insbesondere Knappheiten von elektrotechnischen und Elektronikkomponenten”, sagt VDMA-Chefvolkswirt Dr. Ralph Wiechers.

Autorenprofil

Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.

Vorheriger Artikel„Wir entwickeln eine gemeinsame Wachstumspartnerschaft“
Nächster ArtikelMcNeill-Schulranzenhersteller wird verkauft