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Ab ins Ausland oder doch eher zurück?

Weltweite Krisenherde beeinflussen die Standortwahl deutscher Unternehmen. Welche Länder boomen und ob es Länder gibt, aus denen sich Unternehmen zurückziehen, beantworten vier Experten.

Welche Länder sind für Mittelständler momentan interessant?

Guido Decker, Managing Director, goetzpartners

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Das ist ganz industrieabhängig. Automobilzulieferer etwa müssen den OEMs nach China, USA und Südamerika folgen. Firmen der erneuerbaren Energien suchen nach Chancen in Osteuropa. Die USA kommt mit einer neuen Reindustrialisierungsoffensive hinzu. Die Türkei wird als Produktionsstandort und Vertriebstor in den arabischen Raum und die ehemaligen russischen Republiken geschätzt. Indien wird hohes Potenzial zugeschrieben, hier teilen sich aber schon die Meinungen. Südamerika wird als Absatzmarkt vor allem mit steigender Unternehmensgröße attraktiv.


Dr. Karsten Zippel, Vorstand, Aquin Cie. AG

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Momentan wird insbesondere die USA wieder zunehmend interessanter, nachdem in der Vergangenheit vor allem China das vorrangige Ziel war. Sicherlich spielt auch der Iran, aufgrund der teilweisen Sanktionsaufhebungen im Zuge des Atomkonsenses, wieder ein große Rolle. Trotz der verhängten Sanktionen hatten viele deutsche Unternehmen in der Vergangenheit dennoch versucht, rudimentäre Lieferbeziehungen sowie den Kontakt mit dem Iran aufrechtzuerhalten.


Dr. Sonnfried Weber, Sprecher der Geschäftsführung, BayBG

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Als potenzielle Orte für Produktionsniederlassungen bleibt nach wie vor das relativ krisensichere EU-Ausland als mögliche Alternative interessant, um Produktions- und Absatzprozesse zu optimieren. Vor Niederlassungen oder Produktionsverlagerungen in das außereuropäische Ausland würde ich dem Mittelstand wegen der damit verbundenen Produktions- und Kostenrisiken abraten. Es sei denn, man fungiert als Zulieferer und begleitet in dieser Funktion einen starken Partner, zum Beispiel im Automotive- oder Elektrotechnik-Bereich.


Uwe Knebelsberger, Geschäftsführer, Corporate Trust Business Risk & Crisis Management GmbH 

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Das ist von der Unternehmensbranche abhängig. Das Gemeinsame ist jedoch, dass die Geschäftstätigkeit immer stärker in sicherheitskritischen Regionen und Ländern stattfindet. Als Beispiel hierfür ist der Maschinen- und Anlagenbau zu nennen, der sowohl im Nahen und Mittleren Osten wie auch in Westafrika stark engagiert ist. Die Textilindustrie ist eher auf Länder wie die Türkei, Ägypten und Bangladesch fokussiert.Weltweite Krisenherde beeinflussen die Standortwahl deutscher Unternehmen. Welche Länder boomen und ob es Länder gibt, aus denen sich Unternehmen zurückziehen, beantworten vier Experten.

Brechen Unternehmen wegen der weltweiten Krisen ihre Zelte im Ausland ab?

Guido Decker

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Insgesamt gesehen: eindeutig nein. Durch lokale Krisenherde werden zwar einige Märkte gemieden werden (müssen), dies führt aber nicht zu einer Verminderung der Auslandstätigkeit, sondern zu einer Verschiebung der ausländischen Märkte untereinander. Wesentliches Wachstum ohne internationale Aktivität ist nicht möglich: Die Mittelständler wissen, dass erhöhte Volatilität bedingt durch engere und höhere Amplituden die Zukunft bestimmen werden.


Dr. Karsten Zippel

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Teilweise ja, vor allem in Russland sowie in von Russland dominierten Staaten. Insgesamt geht der Trend dahin, vormals verlagerte Produktionsstätten wieder nach Deutschland zurückzuholen. Diese Entwicklung ist aber weniger auf die vorherrschenden Krisen, sondern vielmehr auf die Erkenntnis zurückzuführen, dass die Einsparpotenziale oder Qualitätsniveaus nicht zu dem erhofften Erfolg geführt haben.


Dr. Sonnfried Weber

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In den großen Krisengebieten sind die einheimischen Mittelständler nicht im größeren Umfang mit eigenen Zelten, also Produktionsniederlassungen, tätig. Von daher können sie auch keine Zelte abbrechen. Über internationale Produktionsverschiebungen zeigen die Krisen in einigen Regionen der Welt dennoch Auswirkungen auf die heimatliche Produktion. Großkonzerne, die bisher Zulieferungen aus aller Welt gekauft haben, werden sich überlegen, ob sie nicht doch bei zuverlässigen Zulieferern im Inland kaufen sollten.


Uwe Knebelsberger

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Das können wir derzeit nicht beobachten. Aber die Sensibilität der Unternehmen hinsichtlich der konkreten Risiken hat deutlich zugenommen. Sicherheit im Ausland hat somit eine höhere Priorität erhalten, was wir etwa in einem starken Anstieg bei Länderanalysen und der Vorbereitung von Mitarbeitern für Auslandseinsätze feststellen können. Daneben gewinnt aber auch die physische Absicherung von Liegenschaften im Ausland an Bedeutung.Weltweite Krisenherde beeinflussen die Standortwahl deutscher Unternehmen. Welche Länder boomen und ob es Länder gibt, aus denen sich Unternehmen zurückziehen, beantworten vier Experten.

Können Firmen von der Zuwanderung profitieren?

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Guido Decker
Es bestehen erhebliche Chancen, die Profitabilität von Firmen durch Zuwanderung positiv zu beeinflussen. Dieses Potenzial kann aber nur nachhaltig genutzt werden, wenn der Staat die notwendigen Voraussetzungen schafft. Wir befinden uns bereits seit Langem in vollem Wettbewerb der Staaten- und Gesellschaftsmodelle um die immer mobiler und flexibler werdende Humanressource. Die Politik hat dies noch nicht erkannt.


Dr. Karsten Zippel

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Aufgrund des bestehenden Fachkräftemangels müssten Firmen eigentlich von der Zuwanderung profitieren können. Allerdings herrscht bei dieser Thematik große Unklarheit und Unsicherheit hinsichtlich der ausreichenden Ausbildung der Zuwanderer. Diesbezüglich besteht allgemein große Skepsis. Unternehmen erwarten, dass längere und speziell abgestimmte Ausbildungsprogramme notwendig sein werden, um von der Zuwanderung langfristig zu profitieren.


Dr. Sonnfried Weber

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Selbstverständlich können einige Firmen davon profitieren, wenn sie unter einem konkreten Arbeitskräftemangel leiden. So sehen nach einer Studie des ifo Instituts 22 Prozent von 3.200 befragten Unternehmen Möglichkeiten, Facharbeiter unter den Zuwanderern zu gewinnen. 41 Prozent sehen eher Beschäftigungschancen für ungelernte Hilfsarbeiter. Wie umfangreich und zügig Migranten als Arbeitskräfte eingesetzt werden können, hängt aber auch von der Politik ab. Neben einer aktiven Unterstützung und Förderung des Spracherwerbs sollten Flüchtlinge möglichst bald arbeiten dürfen, Wartezeiten sollten verkürzt werden.


Uwe Knebelsberger

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Zunächst wird das Potenzial an Zuwanderern, das direkt in eine qualifizierte Beschäftigung integriert werden kann, über alle Branchen hinweg sehr gering sein. Mittel- bis langfristig profitieren die Unternehmen durch Zuwanderer, wenn eine umfassende Integration gelingt. Diese beinhaltet insbesondere das Erlernen der deutschen Sprache sowie die Bereitschaft zur Aus- und Weiterbildung der Migranten.

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