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Technokraten mit Herz

Alfred Kärcher war ein Tüftler aus Leidenschaft. Im Jahr 1935 gründete er sein Unternehmen, 1950 erfand er den ersten Hochdruckreiniger. Heute steht der Name Kärcher wie kein anderer für Geräte, die sauber machen. Die traditionellen Werte des Firmengründers trägt heute der Geschäftsführer Hartmut Jenner weiter.

Die Vorstellung in Schwindel erregender Höhe gleicht einem Hochseilakt. Trübes Licht fällt durch Tausende von Fenstern, die einst in schönstem Blau erstrahlten, bricht sich an der Wand direkt gegenüber. Hoch über dem Boden des schmalen Ganges zwischen Fensterfront und Mauer hängt ein Artist an vielen Seilen. Die Hände des Hochseilkünstlers umklammern eine riesige Pistole, er zielt genau auf die Fenster. Sogleich umgeben ihn Nebelschwaden. Dann ist die Vorstellung zu Ende. Der Artist gleitet nach unten, verankert beide Beine fest im Boden. Kein Applaus, kein Publikum.

Kein Wunder: Der Mann an den Seilen ist kein Artist in einer abenteuerlichen Zirkusnummer. Er ist ein Industriekletterer der Firma Kärcher, die im April 2012 die 16.000 verrußten Fensterelemente der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche reinigte. In einer Aktion, die nicht minder spektakulär war als ein Hochseilakt. Dass gerade Kärcher den zentralen Part dabei übernahm, überrascht nicht. Steht doch kein anderer deutscher Firmenname so für Saubermachen wie der des Unternehmens aus dem baden-württembergischen Winnenden. Sogar ein deutsches Verb hat der Name geprägt – kärchern. Und selbst Franzosen sagen „karchériser“, wenn sie mit einem Hochdruckreiniger arbeiten.

Den Kunden fragen
Harmut Jenner ist gerade in Paris. Morgen schon wird er sich in einer anderen Stadt mit Kunden treffen. „Kärcher war in der Vergangenheit immer sehr stark produktgetrieben“, sagt Jenner, der seit 2001 Vorsitzender der Geschäftsführung ist. „Ständig erfinden unsere Ingenieure etwas Neues, allein im vergangenen Jahr haben wir 100 Patente angemeldet.“ An der Innovationskraft des schwäbischen Traditionsunternehmens will der Firmenlenker auch keineswegs schrauben. „Es ist aber an der Zeit, dass wir uns stärker auf unsere Kunden fokussieren, sie treffen, fragen, herausfinden, was sie wirklich benötigen“, sagt Jenner. Denn zum Produkt, das ist seine feste Überzeugung, wird eine Innovation nur, wenn der Kunde sie braucht.
Innovationen, die zu Produkten wurden, haben das Familienunternehmen groß gemacht. Haben über acht Jahrzehnte hinweg für Arbeitsplätze, schwarze Zahlen und Wachstum gesorgt. Heute ist die Alfred Kärcher GmbH & Co. KG der weltweit führende Anbieter von Reinigungstechnik und hat neben den berühmten gelben Hochdruckreinigern viele weitere Geräte in ihrer Produktpalette. Sauger und Dampfreiniger gehören ebenso dazu wie Pumpen, Kfz-Waschanlagen, Trockeneis-Strahlgeräte oder Wasserspender. Im Jahr 2013 beschäftigt Kärcher 10.000 Mitarbeiter in 100 Gesellschaften mit Sitz in 60 Ländern. In den Entwicklungszentren erfinden über 650 Ingenieure und Techniker ständig neue Lösungen für Sauberkeit in Unternehmen und privaten Haushalten. Dabei hat die schwäbische Erfolgsgeschichte gar nicht mit Saubermachen begonnen.

Der Kalender zeigt das Jahr 1924, als in Stuttgart ein 23-jähriger Absolvent der Technischen Hochschule sein Diplom bekommt und ins väterliche Unternehmen einsteigt. Während die Weimarer Republik ihrem Ende unaufhaltsam entgegengeht und in Deutschland bereits ein Vulkan brodelt, wandelt Alfred Kärcher das kaufmännische Vertretungsbüro in eine Konstruktionsfirma um. Seit seiner Kindheit von Erfindergeist beseelt, will der studierte Ingenieur Maschinen nicht bloß verkaufen. Er will sie entwickeln, sie bauen. Umzug nach Winnenden
Im Januar 1935 gründet Kärcher in Stuttgart-Bad Cannstatt sein eigenes Unternehmen, die Alfred Kärcher Kommanditgesellschaft. Der inzwischen 33-Jährige tüftelt jetzt an neuen Heiztechnik-Produkten und baut schließlich den „Kärcher-Salzbadofen“, der zur Härtung von Leichtmetallen dient. Kaum ist die Erfindung erfolgreich auf den Markt gebracht, verkauft Kärcher die Lizenz. Er bastelt an einem Gerät zum Anheizen von Flugzeugmotoren, entwickelt es zur Serienreife, zieht 1939 mit seinem Unternehmen nach Winnenden um.
Doch der Vulkan ist längst ausgebrochen. Seit 1933 sind die Nationalsozialisten an der Macht, die Firma Kärcher muss als Rüstungsbetrieb für die Kriegswirtschaft produzieren. Zum Verhängnis wird das dem Unternehmen später nicht. Nach Kriegsende braucht Deutschland dringend Produkte für den täglichen Bedarf und Kärcher liefert Öfen, Herde, Handkarren und Anhänger für Traktoren. Als 1948 die in Deutschland stationierten Amerikaner nach einem neuen Reinigungsgerät für ihre Wagen und Panzer suchen, kommt Alfred Kärcher auf die Idee, die die Zukunft seines Unternehmens bestimmen sollte. Er entwickelt 1950 den ersten europäischen Heißwasser-Hochdruckreiniger. Mit dem Dampfstrahler DS 350 beginnt die Ära Kärcher in der Reinigungstechnik.
Den großen Erfolg seiner Innovation erlebt Alfred Kärcher nicht mehr. Er stirbt am 17. September 1958 im Alter von 58 Jahren. Seine Frau Irene lenkt drei Jahrzehnte lang die Geschicke des Unternehmens, stellt Kärcher ab 1962 international auf. Später steigen die Kinder Susanne und Johannes in die Geschäftsführung ein. Bis heute gehören sie der Führungsetage an. Nachdem das Unternehmen seine Produktpalette zwischenzeitlich diversifiziert, kehrt es 1974 zur Hochdruckreinigung zurück. Von nun an sind die Kärcher-Geräte nicht mehr blau wie bisher. Sie sind gelb – so wie sie im Jahr 2013 jeder kennt.
„Alfred Kärcher war ein Tüftler, ein Erfinder aus Leidenschaft“, sagt Hartmut Jenner. Diese Leidenschaft empfindet auch er.In Winnenden geboren, hat Jenner genau wie Alfred Kärcher an der Technischen Hochschule Stuttgart studiert. Genau wie der Unternehmensgründer ist er Diplom-Ingenieur. Sein Herz für Kärcher hat der heutige Firmenlenker während eines Praktikums entdeckt. „Es gefiel mir einfach, Produkte herzustellen, auch die Vermarktung fand ich spannend“, erinnert er sich. Vor allem aber begeisterte es ihn, dass das Familienunternehmen die Werte des Gründers weiterlebte. 1991 unterschrieb er seinen Vertrag bei Kärcher, durchlief viele Stationen, bis er 2001 erst Sprecher, dann Vorsitzender der Geschäftsführung wurde.

Keine Zukunft ohne Vergangenheit
Zwölf Jahre steht Jenner nun schon an der Spitze eines Traditionsunternehmens. Zwölf Jahre, in denen sich die Welt durch Internet, Wirtschaftskrisen und internationalen Verdrängungswettbewerb extrem verändert hat. Kommt er da mit Werten wie Respekt noch weiter? Bedeutet Leidenschaft noch etwas? „Ohne Vergangenheit gibt es keine Zukunft“, sagt Jenner. Bei Kärcher liegt der Altersschnitt der Mitarbeiter bei 40,5 Jahren. Angehörige schwäbischer Familien arbeiten in zweiter oder gar dritter Generation bei dem Traditionsunternehmen. „Wir haben Mitarbeiter, die Alfred Kärcher noch persönlich kannten“, berichtet Jenner. Und die erzählen ihren jungen Kollegen davon, wie der Erfinder für sein Unternehmen brannte. Wie er die Handwerksmeister auf dem Firmengelände nach ihren Ideen fragte. „Dieses Brennen setzt sich fort“, sagt Jenner. Von Generation zu Generation. „Wir sind auch heute noch Technokraten mit Herz.“

Seine „Technokraten“ und ihre Ideen nimmt der Unternehmenslenker ernst. Nicht weniger interessieren ihn die Vorschläge, die seine Presseverantwortlichen, Sekretärinnen oder Controller machen. Schließlich geht es nicht nur um technische Innovationen. „Wir haben zum Beispiel europaweit eine zentrale Buchhaltung eingeführt“, sagt Jenner. Das spart Kosten – nicht aber Mitarbeiter. Entlassen hat er selbst in der Krise 2009 niemanden. Auch Kurzarbeit war kein Thema. Stattdessen hat Jenner dafür gesorgt, dass Shuttle-Busse Mitarbeiter von einem Werk, in dem es gerade nichts zu tun ab, zum einem anderen brachten, das Arbeit hatte.Für einen wie Jenner, der bei Kärcher „groß geworden ist“, wie er es nennt, haben solche Maßnahmen mit Verantwortung zu tun. Schließlich hängen ganze Familien von einem Arbeitsplatz bei Kärcher ab. Und es geht ihm um Respekt. „Respekt heißt für mich, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen, den anderen aber umso mehr“, sagt der Firmenlenker. Diese Devise begleitet Jenner auch auf seinen Reisen, die er unternimmt, um individuelle Kundenwünsche zu ermitteln. „Wussten Sie übrigens, dass Chinesen technische Geräte meistens selbst reparieren?“, fragt er. Kärcher hat deswegen für den chinesischen Markt vereinfachte Hochdruckreiniger mit nur einer Sorte Schrauben entwickelt. Klare Kundenfokussierung, das ist die Zukunft.

Die Fenster der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche sind seit Mai 2012 wieder so blau und transparent wie seit 50 Jahren nicht mehr. Alle Ruß- und Schmutzpartikel sind „weggekärchert“. Da in die Kirche nun mehr Licht fällt, spart die Gemeinde Strom für künstliche Beleuchtung – das sind 50 bis 75% weniger Kosten. Die Industrie-Artisten von Kärcher vollführen ihre Hochseilakte längst anderswo.

Andrea Martens
redaktion@unternehmeredition.de

Kurzprofil Alfred Kärcher GmbH & Co. KG
Gründungsjahr: 1935
Branche: Reinigungstechnik
Unternehmenssitz: Winnenden, Baden-Württemberg
Umsatz: 2012: 1,9 Mrd. EUR
Mitarbeiterzahl 2013: 10.000
Internet: www.kaercher.de

Zur Person:
Hartmut Jenner ist im schwäbischen Winnenden geboren und aufgewachsen. Bereits zu Studienzeiten absolvierte der Diplom-Ingenieur und Kaufmann ein Praktikum bei der Alfred Kärcher GmbH & Co. KG. 1991 wurde er Mitarbeiter und durchlief verschiedene Stationen im Unternehmen. 2001 wurde er zunächst Sprecher, wenig später Vorsitzender der Geschäftsführung. In dieser Position will er nun für eine stärkere Kundenfokussierung sorgen, ohne dabei die traditionellen Werte und die Innovationskraft von Kärcher aus den Augen zu lassen.

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