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Hilfe zur Selbsthilfe

Drei Jahre nach Einführung des ESUG hat sich das Verfahren in der deutschen Insolvenzordnung etabliert – wenn auch auf niedrigem Niveau. Laut einer Studie der Boston Consulting Group wurden 790 Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragt. 450 wurden genehmigt.

Ein langgezogenes „e“, ein schnell gesprochenes „p“. Zumindest die Älteren kennen nahezu alle den Schneekoppe-Ruf. Nach Unternehmensangaben liegt die Bekanntheit immer noch bei 80 Prozent. Doch letztlich reichte diese alleine nicht aus, um das Unternehmen am Leben zu erhalten. Die Konkurrenz unter den Lebensmittelunternehmen war groß, der Vertrieb schwächelte, die Produktion lag nicht in eigener Hand. Schneekoppe wurde von einer Hand in die nächste gereicht, geriet ins Schlingern und letztlich unter den Schutzschirm. Einer Insolvenzform in Eigenverwaltung.

Möglich macht dies das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG). „Die Bekanntheit des ESUG nimmt stetig zu, so dass man davon ausgehen kann, dass in Zukunft nicht nur Großunternehmen oder zumindest Unternehmen mit einem gewissen Bekanntheitsgrad die Vorteile des Gesetzes nutzen werden“, sagt Rechtsanwalt Andreas Liebaug von der Frankfurter Kanzlei BBL Bernsau Brockdorff & Partner. „Jedoch ist weiterhin erhebliche Aufklärungsarbeit zu leisten“, so Liebaug. Der Rechtsanwalt fungiert gegenwärtig als Sanierungsgeschäftsführer des Nahrungsmittelherstellers Schneekoppe.

Große Firmen profitieren stärker

Seit dem 1. März 2012 ist das Gesetz in Kraft. Es ermöglicht Unternehmen eine Restrukturierung in Eigenverwaltung, außerhalb der Regelinsolvenz. Allein im vergangenen Jahr wurde nach Angaben des Bundesverbandes ESUG in 28 Antragsverfahren von Unternehmen mit einem Umsatz von über 20 Mio. Euro und über 100 Mitarbeitern eine Eigenverwaltung angeordnet. Das entspricht einem Anteil von 26 Prozent an sämtlichen in dieser Unternehmensgruppe gestellten

Andreas Liebaug, Kanzlei BBL Bernsau Brockdorff & Partner (© Privat)

Insolvenzanträgen. Bei Unternehmen mit über 100 Mio. Euro Jahresumsatz waren dies 35 Prozent. Insgesamt liegt der Anteil der nach Inkrafttreten des ESUG in Eigenverwaltung eingeleiteten Verfahren allerdings nur bei rund 3 Prozent, Tendenz leicht steigend. Dabei zeigt sich, dass die Insolvenz in Eigenverwaltung umso häufiger zum Zuge kommt, je größer das betroffene Unternehmen ist. „Große Unternehmen und Konzerne sind in der Handhabung des ESUG im Vorteil, da ihnen in der Regel versierte Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zur Seite stehen oder die Firmen selbst über professionelle Rechtsabteilungen verfügen“, erklärt Liebaug. Nach der Annahme des Insolvenzplans durch die Mehrheit der Gläubiger und der Bestätigung durch das zuständige Insolvenzgericht geht er davon aus, dass das Insolvenzverfahren bei Schneekoppe noch im Juni aufgehoben wird.

Generell hat sich das ESUG aber definitiv bewährt. So verweist der Frankfurter Rechtsanwalt auf neue Regelungen, etwa auf die Beschränkung der Rechtsmittel gegen Bestätigungsbeschlüsse, welche dazu beigetragen haben, dass Insolvenzpläne heute deutlich effektiver umgesetzt werden können und früher ihre Rechtskraft erlangen. „Auch die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, weitreichende gesellschaftsrechtliche Maßnahmen zu treffen, etwa einen ‚debt to equity swap‘, ist ein weiteres Argument für die Sanierung mittels eines strukturiert geplanten Insolvenzverfahrens“, so Liebaug.Drei Jahre nach Einführung des ESUG hat sich das Verfahren in der deutschen Insolvenzordnung etabliert – wenn auch auf niedrigem Niveau. Laut einer Studie der Boston Consulting Group wurden 790 Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragt. 450 wurden genehmigt.

Doch die vergangenen drei Jahre haben auch vermeintliche und tatsächliche Mängel offenbart. Ein praktisches Problem zeigt sich etwa in der Frage, ob das Insolvenzgericht einen vom Konsens der Gläubiger getragenen Vorschlag des Schuldners für den vorläufigen Sachwalter mitträgt oder diesen hintertreibt. Methoden gäbe es genug, beispielsweise durch eine Verzögerung der Beschlussfassung und anschließendes Abstellen auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung für die Frage des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit. Ein weiteres Problem: „In bestimmten Fällen hat der Schuldner zugleich mit dem Schutzschirmantrag

Prof. Dr. Georg Streit, Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek (© Privat)

Einverständniserklärungen von Mitgliedern des vorläufigen Gläubigerausschusses vorzulegen“, sagt Prof. Dr. Georg Streit von der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek. „Die Anfrage, Mitglied im vorläufigen Gläubigerausschuss zu werden, kann den Gläubiger dazu veranlassen, fällig zu stellen“, so Streit. „Bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit ist ein Schutzschirmverfahren aber nicht mehr zulässig.“ In der Praxis lassen sich diese Herausforderungen vor allem durch eine frühzeitige, offene Kommunikation mit dem Insolvenzgericht und mit den wesentlichen Gläubigern lösen.

Kommunikation entscheidet

Helfen kann in vielen Fällen, wie so häufig, eine gute Kommunikation zwischen dem betroffenen Unternehmen, dem Insolvenzgericht und den wesentlichen Gläubigern. Auch bei Kunden und Lieferanten muss verloren gegangenes Vertrauen neu aufgebaut werden. Kommunikation dient zunächst der Festlegung wichtiger Formalia und Personalia. So gilt der Auswahl eines geeigneten Sachverwalters ein gesondertes Augenmerk. „Bei professioneller Durchführung gibt es kaum noch Probleme“, urteilt Robert Buchalik von der Kanzlei Buchalik Brömmekamp. „ Allenfalls in Verfahren mit unerfahrenen Sachwaltern, die immer wieder zu Verzögerungen führen, weil sie mit den Mechanismen einer Eigenverwaltung nicht ausreichend vertraut sind und in die Mechanismen einer Regelinsolvenz abgleiten.“ Besser sieht es bei den Gerichten aus, die zunehmend professioneller agieren. „Wir haben sogar den Eindruck, dass es einzelne Richter als Makel auffassen, wenn sie noch kein Eigenverwaltungsverfahren durchgeführt haben“, meint Buchalik. Doch es werden weitere inhaltliche Verbesserungswünsche genannt, etwa eine ausdrückliche Regelung zur Eingehung von Massenverbindlichkeiten bei der vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270a InsO) oder die Zulassung von Rechtsmitteln gegen die Verweigerung der Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren. Anwalt Buchalik: „Darüber hinaus sollte die Befugnis zur Regelung von Vergütung des Sachverwalters und des Gläubigerausschusses Teil des Insolvenzplans sein.“ Zudem wird die Anwendung des sogenannten „Sanierungserlasses“ durch die zuständigen Finanzbehörden von Experten als unglücklich gewertet. Problematisch ist auch, dass der Bescheid des Finanzamts keinerlei Bindungswirkung für die Gemeinden hat.Drei Jahre nach Einführung des ESUG hat sich das Verfahren in der deutschen Insolvenzordnung etabliert – wenn auch auf niedrigem Niveau. Laut einer Studie der Boston Consulting Group wurden 790 Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragt. 450 wurden genehmigt.

Ein komplexes Verfahren

Hinweise auf Schwachstellen und Verbesserungsvorschläge offenbaren die ganze Komplexität des ESUG. So kann schon ein schlecht oder unzureichend formulierter Insolvenzantrag verbunden mit dem Antrag auf Eigenverwaltung dazu führen, dass der Antrag vom zuständigen Insolvenzrichter abgelehnt wird. Letzteres betrifft gegenwärtig fast die Hälfte aller gestellten Anträge auf Eigenverwaltung. Und nach einer Analyse der Boston Consulting Group (BCG) sind mehr

Robert Buchalik, Kanzlei Buchalik Brömmekamp (© Privat)

als 40% aller beantragten Eigenverwaltungsverfahren später in die Regelinsolvenz übergegangen. Dieser Wert ist im Vergleich zu den Vorjahren nochmals erheblich gestiegen und betrifft vor allem kleinere Unternehmen. Die Analysten von BCG führen diese Entwicklung auch auf die mangelhafte und unprofessionelle Vorbereitung und Durchführung der Anträge zurück. Nicht zuletzt spielen Erfahrung und Kompetenz der Berater eine ganz wesentliche Rolle. „Die Komplexität des Verfahrens wird deutlich unterschätzt“, betont Robert Buchalik. „Ohne ein belastbares Konzept, das auch die operative Sanierungsfähigkeit aufzeigt, ergibt eine Sanierung unter Insolvenzschutz definitiv keinen Sinn.“ Weitere Hürden, die auch nach einer erfolgreichen Antragstellung auftreten können, sind etwa nicht eingeräumte Massekredite, Vorkasseforderungen der Lieferanten, Ausschlüsse bei Ausschreibungen, Unstimmigkeiten im Gläubigerausschuss, Anfechtungsbegehren des Sachwalters oder schwierige Verhandlungen mit dem Betriebsrat.

Fazit

Insgesamt hat sich die Insolvenzkultur durch die Einführung des ESUG positiv verändert. Von vielen Betroffenen wird das Gesetz als Chance für einen Neustart wahrgenommen. Auch der positive Marketingeffekt darf nicht unterschätzt werden, wird das Schutzschirmverfahren doch vermehrt gar nicht mehr als „Insolvenz“ wahrgenommen. Besonders in der Öffentlichkeit bekannte Marken profitieren davon. „Gerade das Schutzschirmverfahren nimmt der Insolvenz einen wesentlichen Teil ihres Schreckens und die Scheu vor der Unkontrollierbarkeit des Verfahrens“, unterstreicht Georg Streit. „Mit dem ESUG ist dem Gesetzgeber ein großer Wurf gelungen.“

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