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Der Fachkräftemangel wird so nicht kommen

Der lange angekündigte Fachkräftemangel wird so nie kommen – die Vorlaufzeit ist zu groß und es gibt genügend Ausweichmöglichkeiten für findige Unternehmer und politische Kurskorrekturen. 

Der Fachkräftemangel in Deutschland ist – gerne mit dem Adjektiv „drohend“ versehen – seit geraumer Zeit in aller Munde. Viele Studien überbieten sich in düsteren Szenarien nach dem Motto „je mehr fehlende Fachkräfte wir berechnen, desto höher ist die Aufmerksamkeit für unsere Ergebnisse“. Als hauptsächliche Triebfeder für die fehlenden Fachkräfte wird hierbei meist der demografische Wandel angeführt. Dies ist nicht verwunderlich, denn die Alterung der Belegschaften und Schrumpfung der Einstiegskohorten in den Arbeitsmarkt war in den letzten Jahren bereits massiv, gut dokumentiert und sie wird ungebremst noch eine Weile weitergehen. So wissen wir in der Tat jetzt bereits, dass in wenigen Jahren – wenn die Baby-Boomer-Generation in Rente geht – rein rechnerisch deutlich mehr gut ausgebildete Fachkräfte aus dem Erwerbsleben ausscheiden werden als junge Berufsanfänger als Ersatz zur Verfügung stehen. Zudem fühlen einige Arbeitgeber bereits jetzt erste „Anzeichen“ eines Fachkräftemangels: Dies reicht vom Gaststättenwirt, der seit Jahren seinen einzigen Ausbildungsplatz nicht besetzen kann, bis zum Großunternehmen, das nur noch 150 Bewerbungen bekommt für jede ausgeschriebene Fachkraftstelle anstatt wie gewohnt 200 Bewerbungen.

Viele Fachkräftepotenziale

Sind das alles überzeugende Argumente für einen „drohenden Fachkräftemangel“? Aus meiner Sicht überhaupt nicht. Die Studien und das „Gefühl“ der Unternehmer unterstellen, dass das Fachkräfteangebot statisch ist und nicht beeinflusst werden kann. So wird häufig davon ausgegangen, dass die Erwerbsbeteiligung und die berufliche Qualifikation der erwerbsfähigen Bevölkerung gleich bleiben. Dabei haben wir gerade in den letzten Jahren erst erlebt, wie stark beispielsweise die Erwerbsbeteiligung Älterer in Deutschland in kurzer Zeit durch die richtigen Anreize gesteigert werden kann. Das durchschnittliche Rentenzugangsalter ist seit 2000 um fast zwei Jahre gestiegen. Es liegt damit wieder auf dem Niveau der frühen 90er Jahre, ist aber immer noch deutlich geringer als beispielsweise in den 60er Jahren. Gleichzeitig ist die Lebenserwartung seit 2000 um drei Jahre gestiegen und es gehen so viele gesunde Menschen in Rente wie in keiner Generation davor. Eine Konsequenz dieser fitten Generation Älterer ist die starke, in der Öffentlichkeit jedoch kaum wahrgenommene Erhöhung der Erwerbstätigkeit nach der Verrentung. Inzwischen arbeiten fünf Prozent der Bevölkerung nach der Verrentung in einem Unternehmen – dies waren gut 200.000 Beschäftigte in Vollzeit und gut 800.000 Beschäftigte in Teilzeit.

Faktor Frauen

Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, können zudem substanziell mehr gut ausgebildete Frauen am Erwerbsleben teilnehmen. So errechnet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im jüngsten Fortschrittsbericht zum Fachkräftekräftekonzept der Bundesregierung ein Fachkräftepotenzial bei Frauen von 3,6 Millionen – wenn die Erwerbstätigkeit von Frauen auf den aktuellen durchschnittlichen Wert von 77 Prozent steigt. Wer jetzt sagt, geht doch gar nicht, der sollte einen Blick nach Schweden werfen: Dort arbeiten mit 77 Prozent exakt so viele Frauen wie bei uns alle Erwerbsfähigen. Schließlich ist der Bevölkerungsanteil derjenigen, die keinen beruflichen Abschluss haben, mit 15 Prozent nach wie vor viel zu hoch. Eine Nachqualifizierung – wie schwer dies in jedem Einzelfall auch sein mag – könnte auch hier einen deutlichen Zuwachs für das Fachkräftepotenzial bringen. Die Förderung der Ausbildung von Spätstartern ohne Berufsabschluss über 25 Jahre ist hier ein gangbarer Ansatz: Kanada macht uns hier schon seit Jahren vor, wie die nachträgliche Ausbildung Arbeitslosigkeit reduzieren hilft und das Fachkräftepotenzial erhöht. Dort haben die 36- bis 45-Jährigen den höchsten Anteil an den Auszubildenden. Diese vielfältigen Reserven für unser Fachkräftepotenzial sind der Politik und vielen Unternehmen schon lange bekannt. Und sie werden – zum Teil massiv mit Steuermitteln unterstützt – auch bereits genutzt, tragen bereits zu einer deutlichen Verringerung des „drohenden Fachkräftemangels“ bei und werden dies auch in Zukunft tun.

Unternehmerisches Handeln ist gefordert

Was soll der Unternehmer aber tun, wenn dennoch aktuell freie Fachkraftstellen nicht besetzt werden können oder einige der Mitarbeiter die neue Option auf eine Rente mit 63 Jahren nutzen anstatt wie ursprünglich geplant mit 65 Jahren in Rente zu gehen? Dann ist unternehmerisches Handeln gefordert! Genauso wie es beim Wegbrechen von Absatzmärkten oder bei der Erhöhung der Preise der Vorprodukte gefordert ist. Das heißt zum einen, dass der Unternehmer Geld in die Hand nehmen muss und er zum anderen Ideen braucht, die andere nicht haben. Eine kleine der aktuellen Tagespresse entnommene aktuelle Auswahl: Da ist der Handwerksmeister, der seinem Auszubildenden bei erfolgreicher Übernahme einen Dienstwagen in Aussicht stellt. Oder das Großunternehmen, das seine Rentner mit Werkverträgen zeitlich und räumlich flexibel an sich bindet – mit Vorliebe für Auslandseinsätze, zu denen Fachkräfte mit kleinen Kindern heutzutage nicht gerne abgestellt werden. Und das Beste ist – diese unternehmerische Herausforderung kommt mit Ansage und nicht über Nacht. Sicherlich, es werden auch einzelne Unternehmen an der unternehmerischen Aufgabe, adäquate Fachkräfte anzulocken und an sich zu binden, scheitern. Aber die flexible Reaktion auf ständig neue Herausforderungen macht das Unternehmertum doch so interessant. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass die Verrentungswelle der Generation der Babyboomer für fast alle Unternehmen ähnlich geräuschlos laufen wird wie die massive Alterung der Belegschaften in den letzten Jahren.


Zur Person

Prof. Dr. Thomas Zwick, Jahrgang 1968, ist Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Personal und Organisation an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Er studierte VWL in Regensburg und Nashville, promovierte mit einer Arbeit über Humankapital und Arbeitslosigkeit in Maastricht und habilitierte mit einer Arbeit über die Produktivitätswirkung von Personalmaßnahmen in Zürich. www.bwl.uni-wuerzburg.de

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