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„Ohne emotionale Kraft geht gar nichts“

Andy Holzer wurde blind geboren. Heute ist er professioneller Bergsteiger und Abenteurer. Im Interview erklärt er, warum der Weg zum persönlichen Gipfel auch bei einer konsequenten Lebensführung immer steinig sein muss.

Unternehmeredition: Herr Holzer, Sie haben im Mai als zweiter blinder Mensch den Gipfel des Mount Everest bestiegen. Wie gefährlich war das für Sie?

Andy Holzer: Es war nicht nur der eine Gipfelanstieg. Ich habe drei Versuche gebraucht. Bei meinem ersten Versuch 2014 sind durch eine Eislawine an der Südroute 16 Menschen gestorben, 2015 gab es auf der Nordroute ein schweres Erdbeben mit über 9.000 Toten. Dazu kommen die Risiken des Bergprofils. Wir haben oben einige Überreste von Menschen gesehen, die teilweise seit Jahrzehnten dort liegen. Die direkte Konfrontation mit dem Tod ist also immer ein Thema.

War es Ihnen gegenüber Freunden und ihrer Familie unangenehm, dass Sie es bei den ersten Versuchen nicht geschafft haben?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe das Scheitern schon früh lernen müssen. Ich habe das gebraucht, um dort hinzukommen, wo ich jetzt bin. Eigentlich bin ich 2014 gestartet und 2017 oben angekommen.  Meine Familie ist sehr stolz auf mich, aber nicht, weil ich den Gipfel des Mount Everest erreicht habe. Für die bin ich nicht der Gipfelstürmer, sondern einfach der Andy.

Foto: © Andreas Unterkreuter

Wie haben Sie diese Herausforderung mit Ihrem Handicap bestanden?

Der Mount Everest ist nur ein kleiner Ausschnitt aus meinem Leben, den Sie jetzt wahrnehmen. Für mich ist es die logische Folge aus einem extrem konsequent geführten Leben. Ich habe nicht eine Sekunde auf jemand anderen gewartet, schon gar nicht auf den Augenarzt. Deshalb war mir klar, dass ich eine andere Strategie brauche beziehungsweise mir viel mehr Gedanken machen muss. Im Sandkasten habe ich schon unter die Spielzeuglaster heimlich ein Tape geklebt, um zu wissen, welcher meiner ist.

Ein wichtiger Faktor beim Aufstieg waren auch Ihre beiden Kompagnons Klemens Bichler und Wolfgang Klocker. Welchen Teamspirit zeichnet Sie drei aus?

Bei so einer Tour ist Kommunikation ein ganz großes Schlagwort. Bei diesem Aufstieg ist zu Hause mein Vater gestorben, da habe ich viel Nähe gebraucht, um nicht aufzugeben. Meine Partner sind keine berechenbare Werkzeuge, sondern ein Teil meines eigenen Organismus. Wir sind alle Teile eines gewaltigen Uhrwerks. Wenn auch nur ein Zahnrad fehlt, geht gar nichts mehr.

Wie genau haben Sie miteinander kommuniziert?

Das ist schon eine große Kunst. Das, was mein Freund Wolfgang sieht, muss mir über einen anderen Sinneskanal vermittelt werden. Meistens sprechen wir miteinander, aber bei einem Schneesturm bringt selbst das nichts mehr, dann muss er es mir mit taktilen Mitteln zeigen. Jede Berührung hat eine andere Bedeutung. Der Wolfgang ist sozusagen mein verlängertes Auge.

Sie halten viele Vorträge vor Unternehmen. Was geben Sie den Wirtschaftseliten mit auf den Weg?

Bei diesen Vorträgen sage ich immer: „Ihr tut’s alle so, als seien wir auf diesem Planeten, um zu überleben. Geschafft hat es noch niemand. Das hat also keinen Sinn.“ Meiner Meinung nach wird viel zu viel zu getan, um Paragrafen und Regularien zu erfüllen. Es geht nicht um das Überleben, sondern ums Leben.

Können es sich Konzerne leisten, positiv verrückt zu sein?

Es kommt auch mal vor, dass ein Konzern nach dem Briefing eine Absage erteilt. Dann heißt es, dass ich viel zu emotional sei. Mancher Konzern will nur rational handeln. Meine Überzeugung ist, dass ohne emotionale Kraft gar nichts geht.

Seit 2010 sind Sie professioneller Bergsteiger. Sind Sie ein Spätstarter?

Ich hatte ganz viele Phasen in meinem Leben, in denen ich nicht der Sunnyboy von heute war, sondern es sich einfach mies anfühlte. Zwischendurch hatte ich oft das Gefühl, aus meinem gelernten Beruf als Masseur in einem Krankenhaus nicht mehr rauszukommen. Man braucht aber diese zähen Phasen dringend, um das Licht zu genießen. Nichts im Leben ist umsonst.

Sie haben den höchsten Berg der Welt erklommen. Was kommt nach einem solchen Superlativ?

Der Everest ist schon ein symbolischer Höhepunkt meines Lebens. Das zeigt mir, dass ich nicht auf dem falschen Weg bin. Es gibt aber noch genügend Pläne in meinem Kopf, auch abseits des Bergsteigens. Der kleine Junge in mir sucht immer neuen Kitzel.


Foto: © Andreas Scharnagl

Kurzprofil Andy Holzer

Geboren: 1966

Beruf: Abenteurer, Bergsteiger; Blind Climber, Keynote-Speaker

Hobbys: Skifahren, Klettern, Musizieren, Amateurfunk auf Kurzwelle

Größte Erfolge: Besteigung des Mount Everest als zweiter blinder Mensch

www.andyholzer.com

 

 

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