Reifen wie ein guter Wein?

 Ältere Mitarbeiter werden im Berufsleben wahlweise als Altlast oder Quelle der Prosperität gehandelt. Beide Sichtweisen können der Realität nicht gerecht werden und führen daher zu Fehlentscheidungen. 

Während vor zehn oder zwanzig Jahren älteren Mitarbeitern oftmals mit Skepsis begegnet wurde, scheint inzwischen das Pendel eher in die andere Richtung auszuschlagen. Galten ältere Mitarbeiter früher primär als Kandidaten für die Frühverrentung, glaubt heute so mancher Arbeitgeber, in eben dieser Personengruppe die Lösung vieler Probleme finden zu können. Ältere Mitarbeiter haben mehr Erfahrung, sollen weniger impulsiv agieren und als Baustein im Mosaik der Diversity für höhere Leistung und Zufriedenheit im Team sorgen. Mit einem Mal erscheint das Älterwerden als besondere Qualifikation, die mit schönen Labels wie „best ager“, „silver ager“ oder gar der „generation gold“ belegt wird. Viel besser hätten es sich die Jungs vom Marketing auch nicht ausdenken können.

Gesellschaftliche Entwicklung

Die zu beobachtende Veränderung im Blick auf ältere Mitarbeiter findet ihre Wurzeln in verschiedenen gesellschaftlichen Entwicklungen, allen voran dem demografischen Wandel. Je weniger Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen, desto mehr Gedanken müssen sich Arbeitgeber über die Besetzung ihrer Stellen machen. Es ist naheliegend, ältere Mitarbeiter, die man früher mit 58 Jahren aus dem Unternehmen gedrängt hätte, noch möglichst bis zum 68. Lebensjahr zu halten. Ihr Marktwert hat sich schlichtweg erhöht. Die Entwicklungen im Gesundheitswesen haben dafür gesorgt, dass Menschen heute länger fit bleiben und am Leben aktiv teilnehmen können. Altkanzler Helmut Schmidt kann hier als geradezu ikonisches Vorbild gelten. Gesellschaftspolitisch ergeben sich aus der gestiegenen Lebenserwartung jedoch Probleme für die Rentenkasse. Während in den 50er-Jahren ein Arbeitnehmer nur wenige Jahre Rente bezog, bevor er sich aus der Statistik verabschiedete, muss er heute mitunter 20 oder 25 Jahre lang von den nachfolgenden Generationen finanziert werden. Da ist es naheliegend, das Rentenalter an die Lebenserwartung anzupassen und 60-Jährige nicht als sabbernde Tattergreise darzustellen. Der Wohlstand älterer Menschen lässt sie im Vergleich zu früheren Generationen zudem als ernst zu nehmende Konsumenten erscheinen, wodurch sie abermals eine gesellschaftliche Aufwertung erfahren. All dies ist nachvollziehbar, doch inwieweit ist es gerechtfertigt, ältere Mitarbeiter auch als die besseren Mitarbeiter anzusehen?

Forschungsergebnisse

Studien, die sich mit der Frage beschäftigen, inwieweit sich ältere und jüngere Mitarbeiter systematisch in Persönlichkeitsmerkmalen unterscheiden, zeigen im Durchschnitt keine oder nur sehr geringe Effekte. Dies gilt auch für Merkmale, bei denen gängige Stereotype eine Stärke älterer Menschen erwarten lassen, wie etwa der Gewissenhaftigkeit oder der emotionalen Stabilität. Umgekehrt weisen jüngere Menschen keine höheren Werte in der Offenheit für neue Erfahrungen auf. Deutlicher sind die Unterschiede hingegen bei der kognitiven Leistungsfähigkeit. Im Laufe der Jahre sinkt die Fähigkeit zum abstrakten logischen Denken (fluide Intelligenz), während das Wissen (kristalline Intelligenz) eher ansteigt. Beides hängt allerdings zum Teil davon ab, inwieweit ein Mensch kognitiv gefordert wird.

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